Debatte nach Amokläufen Was läuft falsch in Serbien?
Nach zwei Amokläufen mit 17 Toten gärt es in Serbien. Der Präsident macht Ankündigungen zur Entwaffnung des Landes. Aber sind die vielen Waffen im Land wirklich das eigentliche Problem?
Tausende weiße Lilien, viele Stofftiere und Bilder liegen vor der Schule im Zentrum Belgrads, in der vor einer Woche ein 13-Jähriger acht seiner Mitschüler und einen Wachmann erschoss. Noch immer kommen Menschen hier her, legen Blumen nieder, zünden Kerzen an. Viele Kinder und Jugendliche sind darunter, so wie der 16-jährige Mihajlo. "Ich hatte das Bedürfnis hierherzukommen", sagt er. "Das waren Kinder, 13 Jahre alt. Es ist wirklich schrecklich.“
Viele Menschen in Serbien können noch immer nicht fassen, was in der vergangenen Woche in ihrem Land passiert ist. Nur zwei Tage nach dem Amoklauf in der Schule schoss ein 21-Jähriger aus bisher unbekannten Motiven in mehreren Dörfern acht Menschen nieder. Zwei Gewaltexzesse innerhalb so kurzer Zeit - viele lässt das ratlos zurück.
Geht es nach dem Präsidenten des Landes, Aleksandar Vucic, ist die große Zahl der Waffen im Land das Problem - legale wie illegale. Vucic kündigte deshalb unmittelbar nach dem zweiten Amoklauf an, man werde "Serbien fast komplett entwaffnen."
Mit einer Schweigeminute gedachte Präsident Vucic der Opfer. Die von ihm angekündigte Kampagne zur Entwaffung halten viele für nicht zielführend.
"Ich würde sagen, das ist unmöglich"
Allein rund 760.000 registrierte Waffen gibt es in Serbien laut Regierungsangaben. Die Schätzungen für die Zahl illegaler Waffen reichen von 300.000 bis 1,5 Millionen. Für die gibt es nun eine Amnestie. Einen Monat lang, wirbt die Polizei, können die Bürger nicht registrierte Waffen straffrei abgeben.
Zudem sollen die rund 400.000 Inhaber von Waffenscheinen demnächst strengen Kontrollen unterzogen werden. Ihre Zahl soll auf 30.000 bis 40.000 gedrückt werden. Ein völlig unrealistisches Ziel, glaubt Bojan Elek vom Belgrader Thinktank Zentrum für Sicherheitspolitik. Das könnte eine wirklich gut durchdachte Kampagne sein, in die viele Ressourcen investiert werden, meint er. "Aber einfach so aus dem Nichts mit diesen Zahlen aufzutauchen - vor allem da Serbien in den vergangenen 20 Jahren versucht hat, die Zahlen zu senken und dabei nur begrenzten Erfolg hatte - ich würde sagen, das ist unmöglich."
Eine irrationale Beziehung zur eigenen Waffe
Für viele Serben sei Waffenbesitz etwas Selbstverständliches. Viele Menschen hätten traditionell eine irrationale, anhängliche Beziehung zur eigenen Waffe. Dafür ist Aleksandar ein gutes Beispiel. Der sportliche Mann Ende 40 aus Belgrad hat eine Pistole von seinem Vater geerbt. Die ist nicht registriert. Aleksandar will deshalb anonym bleiben.
Auf keinen Fall werde er seine Waffe nun abgeben, sagt er. "Nein, das will ich nicht. Erstens wegen der Sicherheit. Ich will eine Pistole im Haus aus Sicherheitsgründen. Und zweitens ist es eine Erinnerung an meinen Vater."
"Rund um die Uhr Gewalt im Fernsehen"
Zwei, drei Mal im Jahr übt Aleksandar am Schießstand mit einer gemieteten Waffe, sagt er. Er sei ein guter Schütze - und bewahre die Pistole gut versteckt auf. Für ihn sind sowieso nicht die Waffen das Problem. Rund um die Uhr sei Gewalt im Fernsehen zu sehen. Die gesellschaftliche Atmosphäre in Serbien empfindet er als aggressiv.
Mit dieser Meinung ist Aleksandar nicht alleine. Zehntausende Menschen gingen Anfang der Woche unter dem Motto "Serbien gegen Gewalt" in Belgrad und anderen serbischen Städten auf die Straße. Die Forderungen der Demonstranten: Ein Verbot für regierungsnahe Boulevardmedien sowie die Abberufung des Aufsichtskomitees für elektronische Medien. Das Komitee tue nichts gegen die allgegenwärtige Gewaltverherrlichung in Medien. So gibt es mehrere Reality-Fernsehshows, deren Stars verurteilte Straftäter sind.
Entwaffnung eine Placebo-Maßnahme?
Gewalt sei aber auch in anderen Lebensbereichen omnipräsent, sagt der Analyst Bojan Elek - auch in der Politik. Im serbischen Parlament würden "ständig Staatsfeinde benannt und beschimpft und beschuldigt". Es gebe Gewalt gegen zivilgesellschaftliche Organisationen. Jeder, der kritisch gegenüber der Regierung sei, werde als Feind dargestellt - auch die freien Medien. "Es gibt alle Arten von Gewalt: politische, Mediengewalt, physische, verbale, digitale - benennen Sie es, wir haben es in Serbien."
Die angekündigte Entwaffnung empfindet Elek als Placebo-Maßnahme. Damit täusche Präsident Vucic vor, die Kontrolle zu haben. Besser investiert wäre das Geld seiner Meinung nach in Bildung und soziale Dienste - Haushaltsposten, die in den vergangenen Jahren zugunsten von Militär und Polizei zusammengestrichen wurden.