Nach Suspendierung Bakanows Selenskyj ernennt Interims-Geheimdienstchef
Der ukrainische Präsident Selenskyj hat einen Interimschef für den Geheimdienst des Landes ernannt. Zuvor hatte er zentrale Mitarbeiter suspendiert, weil zahlreiche Beamte mit Russland kollaborieren sollen.
Nach der Absetzung des ukrainischen Geheimdienstchefs Iwan Bakanow hat Präsident Wolodymyr Selenskyj dessen bisherigen Stellvertreter zum Interimschef gemacht.
Einem Erlass vom Montag zufolge soll Wassyl Maljuk vorerst den Geheimdienst SBU leiten. Der 39-Jährige war seit März der erste Stellvertreter von Bakanow. Der Militär hat seine juristische Ausbildung an der Geheimdienstakademie erhalten, anschließend arbeitete er in den Korruptionsbekämpfungsstrukturen der Behörde.
Hochrangige Beamte abgesetzt
Am Vortag hatte Selenskyj seinen Jugendfreund Bakanow, der den Dienst mit seinen mehr als 30.000 Mitarbeitern seit 2019 leitete, von der Leitung des SBU entfernt. Offiziell wurde die Suspendierung Bakanows sowie die von Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa mit einer hohen Zahl an Mitarbeitern begründet, die aus dem ukrainischen Sicherheitsapparat zu den russischen Besatzern in der Südukraine übergelaufen sein sollen.
Medien berichteten allerdings auch, dass der 47-jährige Bakanow als Fachfremder nur wenig Autorität unter seinen Angestellten genossen habe. Der jetzige Interimschef Maljuk wiederum soll laut Medienberichten erst kürzlich an der Festnahme eines ehemals hochrangigen SBU-Beamten beteiligt gewesen sein, der wegen der mutmaßlichen Übermittlung von geheimen Informationen an Russland unter dem Verdacht des Hochverrats steht.
Sicherheitsapparat weiter im Fokus
In seiner regelmäßigen Botschaft hatte sich Selenskyj noch einmal zu den Suspendierungen geäußert.
Stand heute sind 651 Strafverfahren in Sachen Landesverrat und Kollaboration unter den Mitarbeitern der Staatsanwaltschaft, der Behörden für vorgerichtliche Untersuchungen und anderer Strafverfolgungsbehörden registriert. In 198 Strafverfahren wurden die Verdächtigen über die Vorwürfe informiert.
Selenskyj sprach von "Selbstreinigung der Behörden". Er kündigte an, die Inspektion des Sicherheitsapparates werde weitergehen. Er nahm Bezug auf seine neuerlichen Besuche in den Frontregionen und ließ erkennen, er kümmere sich persönlich.
Der Präsident ist für seine schnellen Entlassungen bekannt. Einige wichtige Posten hatte er bereits in der Vergangenheit ähnlich rigoros umbesetzt. Die Gründe blieben manchmal undurchsichtig. Diese Praxis galt als umstritten, Schlagzeilen folgten. Selenskyj und sein Team wurden für die Vergabe der Posten auch kritisiert: Nicht immer sei nach Kompetenzen entschieden worden.
Nun ist Selenskyj ein Präsident, der nach der historischen Entscheidung über den EU-Beitrittsstatus der Ukraine gegen Korruption und Vetternwirtschaft kämpfen soll. Und er ist ein Staatschef eines Landes im Krieg, das diesen gewinnen will.
Vorgehen im Süden wirft Fragen auf
Besonders die schwierige Lage im Süden war in der Ukraine immer wieder Thema. Viele fragten sich, wie es dazu kam, dass Russland so schnell so große Landstriche in den Südregionen besetzen konnte. Und wie es schien - nahezu ohne Widerstand der ukrainischen Sicherheitsdienste. Analysten fragten sich, warum zum Beispiel einige Brücken nicht gesprengt wurden - und russische Streitkräfte einfach vorrückten. Vor allem im Gebiet Cherson. Offenbar stehen die aktuellen Suspendierungen damit in Verbindung.
Selenskyj teilte mit, dass kürzlich ein weiterer regionaler Geheimdienstleiter aus dem Süden festgenommen worden sei. Es steht nun der Verdacht über umfangreiche Kollaboration mit Russland im Raum. "Unter anderem sind mehr als 60 Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft und des Geheimdienstes auf dem besetzten Territorium geblieben und arbeiten gegen unseren Staat", so Selenskyj. So ein Bestand an Verbrechen gegen die Grundlagen der nationalen Sicherheit sowie die Verbindungen der Mitarbeiter des Sicherheitsapparats zu den russischen Nachrichtendiensten werfe sehr ernste Fragen gegenüber den entsprechenden Leitern auf.
Hintergründe bislang unklar
Bisher ist zu weiteren Hintergründen wenig bekannt. Die Generalstaatsanwältin Wenediktowa hatte nach Kriegsbeginn den Eindruck einer entschiedenen Strafverfolgerin vermittelt. Immer wieder äußerte sie sich gegenüber den Medien, traf sich mit Amtskollegen aus verschiedenen Ländern. Der Berufsweg der Professorin der Rechtswissenschaften, die die Tochter renommierter ukrainischer Juristen ist, war jedoch nicht skandalfrei.
Besonders spannend ist jedoch die Suspendierung des Geheimdienstchefs Bakanow, der das Wahlkampfteam von Selenskyj leitete und ein langjähriger Weggefährte sein soll. Nun suspendiert ihn der Präsident - und hält im Erlass sogar den entsprechenden Paragrafen fest: 47 - Nichterfüllung der Dienstpflichten, die zu Opfern oder anderen schwerwiegenden Folgen führte. Nach vorläufigen Einschätzungen ist möglicherweise sogar eine Strafverfolgung nicht ausgeschlossen.