Bandengewalt in Schweden "Die Entwicklung ist unheimlich beunruhigend"
Seit Jahren hat Schweden ein Problem mit Bandengewalt. In diesem Monat gab es allerdings ungewöhnlich viele Gewalttaten. In vielen Fällen werden nach Polizeiangaben gezielt junge Menschen angeworben.
Zwölf Tote - das ist die traurige Bilanz des "schwarzen Septembers" in Schweden, von dem eine schwedische Zeitung spricht. Die Ganggewalt ist erneut eskaliert. Zuletzt starb ein 18-Jähriger an einer Sportanlage im Süden Stockholms, während dort Kinder trainierten.
Nicht nur Opfer, sondern auch die Täter seien immer jünger, sagt der schwedische Reichspolizeichef Anders Thornberg. "Die Kriminellen sind skrupellos. Sie heuern Täter an, in vielen Fällen Jugendliche, die bewaffnet werden und Aufträge zu Personen und Adressen bekommen." Diese schwere Kriminalität werde von immer Jüngeren ausgeführt. "Die Entwicklung ist unheimlich beunruhigend", meint Thornberg. Es gebe sogar Kinder, "die selbst Kontakt mit den Netzwerken aufnehmen, um zu morden".
Unterstützung kommt vom Militär
Hinter der neu entflammten Gewalt im Bandenmilieu soll ein kriminelles Netzwerk namens Foxtrott stehen. Hunderte Personen seien gefährdet, heißt es seitens der Polizei. Und die Beamten könnten nicht überall sein. Deshalb soll das Militär jetzt unterstützen.
"Es wird darum gehen, der Polizei Personal und Ausrüstung zur Verfügung zu stellen, Spezialisten und Analysekapazität", sagte Justizminister Gunnar Strömmer. Sie sollen unterstützen, "die kriminellen Banden auszumachen, mit explosivem Material umzugehen, um technische Untersuchungen, oder darum, mit Hubschraubern beizustehen". Wie genau das aussehen soll, hänge von den Bedürfnissen der Polizei ab.
Das Problem mit der Bandenkriminalität treibt Schweden seit langem um. Trotzdem wirken Polizei und Regierung oft machtlos. Bis zu 30.000 Gangmitglieder könnte es inzwischen im ganzen Land geben - und das bei gerade mal etwa zehn Millionen Einwohnern. Wenige Taten werden aufgeklärt.
Bei einer starken Explosion, die sich am frühen Donnerstagmorgen in einem Wohngebiet in Storvreta außerhalb der Stadt Uppsala ereignete, kam eine 25-jährige Frau ums Leben. Die Polizei stufte die Explosion als Tötungsdelikt ein und nahm zwei Menschen in Gewahrsam.
Kein neues Problem
Carin Götblad, frühere Polizeichefin der Provinz Gotland, warnte schon vor 13 Jahren davor, dass junge Menschen in kriminelle Gangs hineingezogen werden. Damals hätte Schweden das noch verhindern können, sagt sie. "Es ist nicht so, als komme das jetzt hier wie eine Überraschung. Es gibt viele Risikofaktoren, auf die man hätte aufmerksam sein und reagieren müssen", kritisiert sie. "Das ist nicht ausreichend geschehen."
Polizeichef Thornberg sieht die Verantwortung dafür nicht allein bei der Polizei. "Was nicht im gleichen Takt wie die Kriminalität zunimmt, das sind die Ressourcen für Schulen, Kindergärten und Soziale Dienste", beklagte er schon vor Jahren im Interview mit der ARD. "Meine Leute da draußen, die schreiben mehrere Hundert Meldungen jeden Tag an die Sozialbehörden über junge Menschen, denen es schlecht geht. Über die, von denen wir wissen, dass diese Kinder Kriminelle werden, wenn niemand eingreift", so Thornberg damals. "Da muss die gesamte Gesellschaft mithelfen.”
Die konservativ geführte Regierung hat den Gangs den Kampf angesagt - stoppen konnte sie die Gewalt bislang nicht. Schwedens Ministerpräsident Ulf Kristersson beteuerte in einer Rede an die Nation: "Wir werden die Gangs jagen und wir werden die Gangs besiegen."
Ministerpräsident Kristersson bei seiner Rede der Nation. Noch vor seiner Wahl Ende vergangenen Jahres sagte er: "Diese Gangs sollen entweder ins Gefängnis oder raus aus dem Land, wenn es sich nicht um schwedische Staatsbürger handelt."
Sorge bei Eltern und Anwohnern
Die Anwohner des Sportgeländes, wo gerade der 18-Jährige erschossen wurde, wünschen sich schnelle Lösungen. Lina Stenberg wohnt nicht weit von dem Tatort entfernt. Ihre Tochter trainiert auf diesem Platz. "Ich bin beunruhigt, weil ich nicht weiß, wo es das nächste Mal passiert. Es kann hier passieren oder woanders, wir können uns nicht schützen", sagt die Mutter. "Ich fühle mich richtig unwohl. Ich will meine Kinder weiter selbst mit dem Fahrrad fahren lassen, auch wenn ich weiß, dass manche Eltern ihre Kinder schon zuhause behalten." Dass die dunkle Jahreszeit jetzt anbricht, macht es nicht besser, meint Stenberg.
Am Abend erleuchten Kerzen den Tatort. Angehörige und Freunde des toten Jungen haben sie an einen Baum gestellt. Er wird nicht das letzte Opfer sein, mahnt Polizeichef Thornberg. "Leider spricht wenig dafür, dass diese Welle der Gewalt bald aufhört. Wir gehen davon aus, dass es weitere Taten geben wird, bevor wir die Entwicklung wenden können."