Scholz' Grundsatzrede zu Europa Wenig Konkretes - viel Gegenwind
In seiner zweiten Grundsatzrede zu Europa warb Kanzler Scholz erneut für eine Union, die es mit Russland und China aufnehmen kann - und warnte vor einer drohenden Belanglosigkeit Europas. In der Debatte musste er sich scharfe Kritik anhören.
Zum Schluss der Aussprache im Straßburger Plenum des Europaparlaments wurde Bundeskanzler Olaf Scholz für seine Verhältnisse sogar leidenschaftlich, als er sich gegen Vorwürfe wehrte, er lasse es in Europa an Führung fehlen - etwa im Streit um das Verbrenner-Aus oder bei der Militärhilfe für die Ukraine.
Der Bundeskanzler betonte, Deutschland sei innerhalb der EU der größte Unterstützer der Ukraine und werde das auch bleiben. Nach der Entscheidung für die Lieferung von Kampfpanzern waren nach Scholz' Worten viele Staaten, die sich vorher an der Debatte beteiligt hatten, nicht mehr zu sehen.
Scharfe Kritik aus dem EU-Parlament
Trotzdem musste er sich in der Debatte scharfe Kritik anhören, etwa vom Chef der konservativen EVP-Fraktion, Manfred Weber, der Orientierung aus Berlin anmahnte.
Besonders deutliche Worte kamen ausgerechnet aus dem Lager der Ampelkoalition: Grünen-Fraktionschefin Terry Reintke warf Scholz mangelnde Führung unter anderem in der Klimapolitik vor und sagte, sie wolle Scholz kämpfen sehen für Europa.
Warnung vor Belanglosigkeit von Europa
Was der Bundeskanzler über Europa denkt, hat er in Straßburg in seiner halbstündigen Grundsatzrede umrissen. Scholz mahnte Veränderungen an, damit der Kontinent im weltweiten Wettbewerb bestehen könne - auf Augenhöhe mit anderen Staaten.
Wenn Europa nicht zusammenfinde und gemeinsam agiere, werde es belanglos sein und nicht mitreden können über die Zukunft der Welt. Wie bei seiner Prager Rede vom Sommer appellierte Scholz an die Mitgliedsstaaten, sich bei Rüstungsvorhaben besser abzustimmen.
Gegen das Einstimmigkeitsprinzip
Er warb für eine geopolitische Union, die es mit Russland und China aufnehmen kann und bekräftigte, dass die Westbalkan-Staaten, die Ukraine, Moldau und perspektivisch auch Georgien, Teil der EU werden sollen. Dass die Integration der sechs Westbalkan-Länder in 20 Jahren kaum vorangekommen ist, nannte Scholz "wirklich peinlich".
Um weitere Staaten aufnehmen zu können, müsse die Gemeinschaft nach Ansicht des Bundeskanzlers ihre Entscheidungsprozesse verändern, um zu verhindern, dass einzelne Mitgliedsstaaten Beschlüsse mit ihrem Veto blockieren. Scholz bekräftigte seine Forderung nach mehr Ratsentscheidungen mit qualifizierter Mehrheit in der Außen- und Steuerpolitik.
Der Rückhalt des EU-Parlaments allein wird dabei allerdings wenig nützen, denn für die Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip bräuchte es einen einstimmigen Beschluss der Mitgliedsstaaten.
"Nicht auf den Heiligen Geist warten"
An die Mitgliedsstaaten appellierte Scholz, in der Migrationspolitik voran zu gehen anstatt darauf zu warten, dass die Solidarität "wie der Heilige Geist" über sie komme. Einen Tag vor dem Berliner Migrationsgipfel forderte der Bundeskanzler, die derzeit machbaren Pläne bis zur Europawahl umzusetzen.
Das heißt konkret: Fachkräfte sollten legal kommen dürfen, Herkunfts- und Transitländer sollten Menschen ohne Bleiberecht zurücknehmen. Dazu müssten die Außengrenzen wirksam geschützt werden, wie beim EU-Gipfel vor einem Vierteljahr vereinbart.
Nicht konkreter geworden als in Prager Rede
Scholz' Ansprache im Plenum des EU-Parlaments ist seine zweite Grundsatzrede zu Europa seit Beginn seiner Amtszeit als Bundeskanzler. Was die deutsche Rolle in Europa und bei der Umsetzung der nötigen Reformen betrifft, wurde er darin nicht konkreter als in seiner Prager Rede vom vergangenen Sommer.
Seitdem hat in Brüssel und einigen EU-Hauptstädten die Kritik an der deutschen Europapolitik deutlich zugenommen: Partner fühlten sich in Pläne der Bundesregierung nicht eingebunden, sie bemängeln zu lange Abstimmungsprozesse in Berlin und fehlendes Verständnis für EU-Verfahren.