Russland meldet Feuerpause Ukraine bestätigt geöffnete Fluchtkorridore
Russland hat nach eigenen Angaben den Beschuss von fünf Städten eingestellt, die ukrainische Regierung bestätigt erste geöffnete Fluchtkorridore. Nach ihren Angaben beschoss Russland allerdings eine der geplanten Fluchtrouten.
In der Ukraine sind nach Angaben der Regierung erste Fluchtkorridore für Zivilisten aus umkämpften Städten geöffnet worden. Evakuierungen seien in der Stadt Sumy und in Irpin nahe der Hauptstadt Kiew im Gange, teilte ein Vertreter des ukrainischen Präsidialamts mit.
Zuvor hatten sich russische und ukrainische Vertreter darauf geeinigt, Korridore einzurichten, um Zivilisten die Flucht aus einigen von den russischen Streitkräften belagerten Städten zu ermöglichen. Die russische Armee habe deshalb das Feuer ab 10 Uhr Moskauer Zeit (8 Uhr MEZ) eingestellt, berichtet die Nachrichtenagentur Interfax unter Berufung auf das Verteidigungsministerium in Moskau.
Korridore seien für fünf Städte geöffnet worden, hieß es von russischer Seite weiter. In der Hauptstadt Kiew sowie den Großstädten Tschernihiw, Sumy, Charkiw und der besonders umkämpften Hafenstadt Mariupol sollten die Menschen die Möglichkeit haben, sich in Sicherheit zu bringen.
Vom Nordosten des Landes ins Zentrum
In Sumy, das im Nordosten der Ukraine nahe der Grenze zu Russland liegt, bestiegen Einwohner Busse, um nach Poltawa zu fliehen, das weiter von der Grenze entfernt liegt. Der Gouverneur von Sumy, Dmitro Schiwitskij, sagte, Behinderte, schwangere Frauen und Kinder aus Waisenhäusern hätten Vorrang.
In einem vom Präsidentenberater Kyrolo Tymoschenko veröffentlichten Video war ein roter Bus mit einigen Zivilisten an Bord zu sehen. "Dem Konvoi wird die örtliche Bevölkerung in Privatfahrzeugen folgen", kündigte die stellvertretende Ministerpräsidentin Iryna Wereschtschuk in einer TV-Ansprache an. In Sumy waren bei russischen Angriffen in der Nacht nach Angaben örtlicher Behörden mindestens 21 Menschen getötet worden, darunter zwei Kinder. Unabhängig überprüfen lassen sich diese Angaben nicht.
Angeblich Beschuss einer Fluchtroute
Nach Angaben Wereschtschuks sind inzwischen auch 30 Busse auf dem Weg nach Mariupol. Sie sollen Zivilisten über einen Fluchtkorridor in das von der Ukraine kontrollierte Gebiet bringen. Es gebe Anzeichen dafür, dass die russischen Streitkräfte in Richtung einer Route für humanitäre Hilfe schießen würden, fügte sie hinzu, ohne Einzelheiten zu nennen.
Deutlich wurden wenig später zwei ukrainische Ministerien: "Der Feind hat einen Angriff genau in Richtung des humanitären Korridors gestartet", erklärte das Verteidigungsministerium auf Facebook. Die russische Armee habe "Kinder, Frauen und ältere Menschen nicht aus der Stadt gelassen". Solche Aktionen seien "nichts anderes als Völkermord". Das Außenministerium in Kiew warf Russland einen "Verstoß gegen die Waffenruhe" vor. "Die russischen Streitkräfte beschießen den humanitären Korridor von Saporischschja nach Mariupol."
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
200.000 Menschen wollen raus aus Mariupol
Die Einstellung der Kämpfe gilt aber als Voraussetzung für das Funktionieren von Fluchtkorridoren in den umkämpften Städten. Ein Schwerpunkt ist die von Russland belagerte Hafenstadt Mariupol am Asowschen Meer. Dort warten nach Angaben des Roten Kreuzes 200.000 Menschen darauf, über verschiedene Routen aus der Stadt zu kommen.
In Mariupol handelt es sich um den inzwischen vierten Versuch, Menschen in Sicherheit zu bringen. Für die drei zuvor gescheiterten hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Russland verantwortlich gemacht. Die Menschen sollen mit Bussen und Autos aus der Stadt gebracht werden. Dazu werden nach Angaben der ukrainischen Behörden auch Sammelpunkte eingerichtet.
Kritik an Fluchtoption Russland oder Belarus
Kiew hatte zuvor von Moskau vorgeschlagene Fluchtkorridore abgelehnt, über die Menschen fast ausschließlich nach Russland und Belarus gelangt wären. Russland wolle die Zivilisten als Geiseln nehmen, behauptete ein Berater des ukrainischen Innenministeriums.
Auch das Deutsche Rote Kreuz und die UN hatten Bedenken angemeldet und sicheres Geleit für die flüchtenden Menschen gefordert.
Inzwischen mehr als zwei Millionen Flüchtlinge
Viele der Menschen, die wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine auf der Flucht sind, versuchen, das Land in Richtung Westen zu verlassen. Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) meldete insgesamt mehr als 2,01 Millionen Menschen, die seit dem russischen Einmarsch am 24. Februar in die Nachbarländer der Ukraine geflüchtet sind. Mehr als die Hälfte von ihnen, über 1,2 Millionen, wurde demnach von Polen aufgenommen.
UNHCR-Chef Filippo Grandi sagte vor Journalisten, der Flüchtlingsstrom aus der Ukraine reiße nicht ab. Die Balkankriege in Bosnien und im Kosovo hätten ebenfalls zu enormen Fluchtbewegungen geführt, sagte Grandi. Es habe sich dabei um "vielleicht zwei oder drei Millionen" Menschen gehandelt, "aber über einen Zeitraum von acht Jahren". "Jetzt sind es acht Tage". Das habe es in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben.