Kämpfe um Mariupol Ukraine wirft Russland Angriff auf Kinderklinik vor
Die Ukraine wirft Russland einen Angriff auf eine Kinder- und Geburtsklinik in Mariupol vor. Präsident Selenskyj twitterte, es befänden sich Kinder unter den Trümmern. Die Evakuierung von Zivilisten kommt offenbar nur schleppend voran.
Die Ukraine hat einen russischen Angriff auf ein Kinderkrankenhaus samt Entbindungseinrichtung in der ukrainischen Hafenstadt Mariupol gemeldet. Das Krankenhaus habe "kolossale" Schäden erlitten, teilte der Stadtrat der belagerten Stadt in den sozialen Medien mit.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj schrieb bei Twitter, unter den Trümmern befänden sich Kinder. Der Angriff sei eine Gräueltat. Selenskyj veröffentlichte ein Video, das völlig verwüstete Räume der Klinik zeigen soll. Demnach müssen eines oder mehrere Geschosse oder Bomben im Hof des Klinikkomplexes eingeschlagen sein. Im Video sind durch eine Druckwelle zerstörte Scheiben, Möbel und Türen zu sehen. Das Gelände rund um das Gebäude war mit Trümmern übersät.
Laut dem Gouverneur der Donzek-Region, Pawlo Kyrylenko, wurden bei dem Angriff 17 Menschen verletzt, darunter Frauen in den Wehen. Von russischer Seite lag zunächst keine Stellungnahme vor. Moskau streitet ab, zivile Ziele zu attackieren.
"Entsetzlich": UN-Chef verurteilt Angriff
UN-Generalsekretär António Guterres verurteilte die Attacke. "Der heutige Angriff auf ein Krankenhaus in Mariupol, Ukraine, wo sich Entbindungs- und Kinderstationen befinden, ist entsetzlich", schrieb Guterres auf Twitter. Zivilisten zahlten den höchsten Preis für einen Krieg, der nichts mit ihnen zu tun habe. "Diese sinnlose Gewalt muss aufhören."
Kuleba: "Russland hält 400.000 Menschen als Geiseln"
Die strategisch wichtige Hafenstadt Mariupol wird seit Tagen von russischen Truppen belagert. Nach Angaben der Separatisten im Gebiet Donezk funktioniert der vereinbarte Fluchtkorridor weiterhin nicht. "Die Menschen verlassen Mariupol so schnell wie möglich aus eigener Kraft", sagte der Sprecher der prorussischen Kräfte, Eduard Bassurin, im russischen Staatsfernsehen. Nach seinen Angaben konnten am Dienstag nur 42 Menschen die Stadt am Asowschen Meer verlassen.
Die Ukraine gab den Angreifern die Schuld daran. Außenminister Dmytro Kuleba schrieb bei Twitter: "Russland hält weiterhin mehr als 400.000 Menschen in Mariupol als Geiseln, blockiert humanitäre Hilfe und Evakuierung." Der wahllose Beschuss gehe weiter.
Gegenseitige Vorwürfe
Auch andernorts kommt die Evakuierung von Zivilisten aus belagerten Städten weiter nur langsam voran. Erneut gab es Zwischenfälle. In dem Dorf Demydiw rund 25 Kilometer nördlich der Hauptstadt Kiew feuerten etwa russische Truppen nach Darstellung der Sicherheitskräfte auf ukrainische Polizisten.
Russland wies einen Bruch der vereinbarten Waffenruhe bei den Fluchtkorridoren jedoch zurück. Sie sei strikt eingehalten worden, sagte Generaloberst Michail Misinzew vom russischen Verteidigungsministerium. Er warf vielmehr der Ukraine vor, russische Stellungen in den Vororten von Kiew, Charkiw, Mariupol und Sumy beschossen zu haben. Die Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen.
Ukraine meldet 1170 getötete Zivilisten in Mariupol
Im seit Tagen umzingelten Mariupol wurden ukrainischen Angaben zufolge seit dem Einmarsch russischer Truppen mindestens 1170 Zivilisten getötet. "47 sind heute in einem Massengrab beerdigt worden", zitiert eine staatliche Informationsagentur den stellvertretenden Bürgermeister der Stadt, Serhii Orlow. Nach Angaben von Hilfsorganisationen sitzen in der Stadt Zehntausende Menschen unter "katastrophalen" Umständen fest. Viele Menschen sind ohne fließendes Wasser, Heizung, Kanalisation und Telefonverbindungen. Einige brachen auf der Suche nach Essbarem in Geschäfte ein, andere schmolzen Schnee, um Wasser zu haben.
Auch die ukrainische Vize-Ministerpräsidentin berichtete, die Lage in der Hafenstadt sei katastrophal. Tausende drängten sich in Kellern, die unter dem Einschlag russischer Granaten erzitterten. Sie warteten auf Nachrichten über Evakuierungsmöglichkeiten. Wegen der Stromausfälle konnten viele nur mit ihren Autoradios Neuigkeiten empfangen. Nachrichten zu beschaffen und weiterzugeben sei zu einer der wichtigsten Aufgaben seiner Organisation geworden, sagte Bernzew. "Manchmal sind Informationen für die Menschen wichtiger als Nahrung."
In anderen ukrainischen Städten ist die humanitäre Lage nach Ansicht des Weltkongresses der Ukrainer ebenfalls verheerend. Es gebe einen Lebensmittelnotstand in den größeren Städten, die derzeit vor allem unter Beschuss stünden, sagte der Leiter des Büros für die Koordinierung humanitärer Initiativen des Weltkongresses, Andrij Waskowycz. Vielerorts seien Lebensmittellieferungen zu gefährlich.
Selenskyj signalisiert Kompromissbereitschaft
Selenskyj zeigte sich vor dem ersten Treffen von Vertretern der ukrainischen und russischen Regierung seit Beginn der Invasion kompromissbereit. "In jeder Verhandlung ist mein Ziel, den Krieg mit Russland zu beenden. Und ich bin auch bereit zu bestimmten Schritten", sagte er in einem online veröffentlichten Interview der "Bild"-Zeitung ."Man kann Kompromisse eingehen, aber diese dürfen nicht der Verrat meines Landes sein. Und auch die Gegenseite muss zu Kompromissen bereit sein", erklärte er weiter. "Über die Details können wir noch nicht reden."
Zudem forderte Selenskyj direkte Verhandlungen mit Präsident Putin: "Wir haben ja noch keinen direkten Kontakt zwischen den Präsidenten gehabt. Nur nach den direkten Gesprächen zwischen den zwei Präsidenten können wir diesen Krieg beenden." Selenskyj vermied eine konkrete Antwort auf die Frage, ob er bereit sei, die Krim an Russland abzutreten und die Souveränität der Separatistenrepubliken im Osten der Ukraine anzuerkennen: "Hier ist ja nicht die Frage, was ich geben kann."
Treffen in Antalya am Donnerstag
Am Donnerstag wollen der russische Außenminister Sergej Lawrow und sein ukrainischer Kollege Dmytro Kuleba in Antalya unter türkischer Vermittlung über Wege zur Beendigung der Kämpfe sprechen. Ein Berater von Selenskyj hatte angedeutet, die Ukraine könnte im Gegenzug für Sicherheitsgarantien auf einen NATO-Beitritt verzichten. Dies ist eine der zentralen Forderungen der Regierung in Moskau.
Eine Sprecherin des russischen Außenministeriums erklärte, die Regierung wolle ihre Ziele eines neutralen Status der Ukraine durch Gespräche erreichen und hoffe, dass die Verhandlungsrunde Fortschritte erzielen werde.