Krieg gegen die Ukraine "Russland hat mit allem geschossen, was es im Arsenal hat"
Es waren die wohl heftigsten Luftangriffe Russlands auf die Ukraine seit Kriegsbeginn: In zahlreichen Städten im Osten und Westen des Landes heulten heute die Sirenen. Mindestens 30 Menschen wurden getötet.
Bei beispiellosen russischen Luftangriffen am Freitagmorgen sind in der Ukraine mindestens 30 Menschen getötet und 144 verletzt worden, wie die regionalen ukrainischen Behörden mitteilten. Weitere Opfer werden vermutet.
Die ukrainische Führung sprach von massivem Terror gegen die Zivilbevölkerung. Tote gab es demnach in Dnipro, Charkiw, Saporischschja, Odessa, Lwiw und der Hauptstadt Kiew, Verletzte auch in weiteren Orten.
Massivste Luftangriffe seit Kriegsbeginn
Der ukrainischen Luftwaffe zufolge feuerte Russland 158 Raketen und Kampfdrohnen ab. Der ukrainische Oberbefehlshaber Waleryj Saluschnyj sprach von 122 Raketen und Marschflugkörpern sowie von 36 Drohnen.
Noch nie seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine gab es demnach derart starke Luftangriffe an einem Tag. Die bis dahin höchste offiziell gemeldete Zahl russischer Raketen, die an einem Tag auf die Ukraine abgefeuert worden waren, lag bei mehr als 90.
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
"Material für noch zwei bis drei solcher Angriffswellen"
Die Schläge erfolgten demnach in mehreren Wellen aus verschiedenen Richtungen und unter Einsatz strategischer Bomber. "Heute hat Russland mit fast allem geschossen, was es in seinem Arsenal hat - mit Kinschal, S-300, Marschflugkörpern, Drohnen. Strategische Bomber haben Ch-101/Ch-505 (russische Marschflugkörper) abgefeuert", schrieb der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj.
Der Experte für Sicherheitspolitik, Nico Lange, schrieb auf X, vormals Twitter, die kombinierten Luftangriffe mit weit über 100 Marschflugkörpern, ballistischen Raketen und Drohnen seien seit mindestens ein bis zwei Wochen geplant gewesen. Sie seien keine spontane Reaktion etwa auf die Zerstörung eines russischen Schiffes durch die Ukraine. Dafür seien die Planungszeiträume für derart komplexe Angriffe zu lang.
"Solche Angriffe Russlands waren leider zu erwarten, da Russland offenbar seit längerem neu produzierte Marschflugkörper dafür aufsparte", schrieb Lange weiter. Man müsse davon ausgehen, dass Russland derzeit über Material für noch zwei bis drei solcher Angriffswellen verfügt.
Demoralisierung der Zivilbevölkerung als Ziel
Die Luftschläge gelten als gezielter Versuch der russischen Militärführung, den Widerstand der Ukrainer gegen die von Präsident Wladimir Putin befohlene Invasion zu brechen. Selenskyj sprach nach den jetzigen Angriffen von großen Schäden im zivilen Bereich: Eine Entbindungsstation, Bildungseinrichtungen, ein Einkaufszentrum und viele private Wohnhäuser seien getroffen worden. Viele Wohnhäuser sowie zivile Gebäude stünden in Flammen.
Das ukrainische Außenministerium sprach angesichts der vielen zivilen Opfer von einem Genozid und forderte die internationale Gemeinschaft zu einer Reaktion auf. Das Gerede über Kriegsmüdigkeit und einen möglichen Waffenstillstand, über den vorübergehenden Verzicht auf Gebiete (durch die Ukraine) sowie über Verhandlungen werde Russland nicht stoppen, heißt es in der Erklärung. Ziel Moskaus sei die Vernichtung der Ukraine.
Biden: Putins Kriegsziele unverändert
Auch US-Präsident Joe Biden erklärte als Reaktion auf die Angriffe, diese machten klar, dass Putins Kriegsziel sich nicht geändert hätten. Er rief den Kongress erneut auf, weitere Mittel für Kiew zu bewilligen. "Über Nacht hat Russland seinen größten Luftangriff auf die Ukraine seit Beginn dieses Krieges gestartet", hieß es in einer schriftlichen Stellungnahme Bidens.
Mit ihrer militärischen Hilfe hätten die USA dazu beigetragen, viele Menschenleben zu retten, betonte er. "Aber wenn der Kongress im neuen Jahr nicht dringend handelt, werden wir nicht in der Lage sein, weiter die Waffen und lebenswichtigen Luftverteidigungssysteme zu liefern, die die Ukraine zum Schutz ihres Volkes benötigt. Der Kongress muss handeln, und zwar ohne weitere Verzögerung."
Großbritannien hat der Ukraine unterdessen weitere Waffen zugesichert. Es würden Hunderte Flugabwehrraketen geliefert, um die ukrainischen Verteidigungsfähigkeiten zu unterstützen, schrieb der britische Verteidigungsminister Grant Shapps auf X. Nach Angaben seines Ressorts handelt es sich um 200 Raketen.
Wohl auch polnischer Luftraum verletzt
Im Zuge der massiven Luftangriffe hat eine russische Rakete nach Erkenntnissen der polnischen Armee auch den Luftraum des NATO-Mitglieds Polen verletzt. "Alles deutet daraufhin, dass eine russische Rakete in den polnischen Luftraum eingedrungen ist. Sie wurde von uns auf dem Radar verfolgt und hat den Luftraum auch wieder verlassen", sagte Generalstabschef Wieslaw Kukula in Warschau.
Den Angaben zufolge befand sich die Rakete etwa drei Minuten lang im polnischen Luftraum und überflog dabei 40 Kilometer. Die von Russland auch heute attackierte westukrainische Stadt Lwiw ist nur etwa 70 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt.
Russland hatte seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 begonnen und beschießt immer wieder auch zivile Ziele weit hinter der Front. Im vergangenen Winter waren vor allem Objekte der Energieversorgung Ziel russischer Angriffe. Experten warnen vor einer Wiederholung dieser Taktik in diesem Winter.