Teilmobilmachung in Russland EU will Umgang mit Deserteuren klären
Soll russischen Deserteuren der Weg in die EU nur über das gängige Asylverfahren offenstehen - oder soll es eine Sonderregelung geben? Die Bundesregierung dringt auf eine europäische Lösung. Am Montag beraten die 27 EU-Botschafter.
Der Umgang mit russischen Kriegsdienstverweigern, die Russland verlassen, soll auf EU-Ebene koordiniert werden. Die derzeitige tschechische EU-Ratspräsidentschaft berief für kommenden Montag eine Sitzung der 27 EU-Botschafter unter dem sogenannten Krisenreaktionsmechanismus ein, wie eine Sprecherin mitteilte.
Die Bundesregierung dringt auf eine abgestimmte Regelung: Man wolle auf europäischer Ebene in den nächsten Wochen eine gemeinsame Linie zum Umgang mit russischen Kriegsdienstverweigern erreichen, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Es gehe darum, gemeinsam mit den anderen EU-Staaten "eine tragfähige Lösung" zu finden. In dieser besonderen Situation nur darauf zu verweisen, dass jeder, der es schafft einzureisen, einen Asylantrag stellen könne, sei nicht ausreichend.
Die 27 Staaten sind bislang von einer gemeinsamen Linie weit entfernt. Pläne für ein Sonderaufnahmeprogramm gibt es bisher weder in Deutschland noch auf EU-Ebene.
So steht etwa Tschechien der Aufnahme von russischen Deserteuren ablehnend gegenüber. "Diejenigen, die aus ihrem Land flüchten, weil sie den Pflichten gegenüber ihrem eigenen Staat nicht nachkommen wollen, erfüllen damit nicht die Bedingungen für die Erteilung eines humanitären Visums", betonte Außenminister Jan Lipavsky. Später räumte indes Ministerpräsident Petr Fiala ein, dass niemandem das Recht auf ein Asylverfahren abgesprochen werde. Tschechien vergibt bis auf wenige Ausnahmen keine Visa mehr an Russen.
Polen: Keine pauschale Aufnahme
Polen will Kriegsdienstverweigerern keine Zuflucht gewähren. "Wir werden keine Gruppe von Russen pauschal nach Polen einreisen lassen, auch nicht solche, die behaupten, sie würden vor der Mobilisierung fliehen", sagte Vize-Innenminister Marcin Wasik dem polnischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Ein solcher Schritt sei zu gefährlich wegen möglicher Verbindungen zu russischen Geheimdiensten. Nur in Einzelfällen, wenn ein russischer Staatsbürger nachweisen könne, dass ihm in Russland Folter oder Verfolgung aus politischen Gründen droht, könne Polen die Asylvorschriften anwenden und ihm Schutz gewähren.
Polen vergibt bereits seit Kriegsbeginn am 24. Februar keine Touristen-Visa mehr an russische Staatsbürger. Das Land hat sich auch für eine Ausweitung dieser Regelung auf andere Visa-Typen ausgesprochen.
Faeser: Asylverfahren möglich
In Deutschland gibt sowohl in den Ampel-Parteien als auch in der Union breite Zustimmung, russischen Dissidenten die Aufnahme hierzulande zu erleichtern. Bundesinnenministerin Nancy Faeser hatte bereits klargestellt, dass Personen, die sich dem russischen Regime entgegenstellen und daher "in größte Gefahr" geraten, Asyl wegen politischer Verfolgung beantragen können. Die Entscheidungspraxis des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge sei bereits entsprechend angepasst, sagte sie der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung".
Linken-Chef Martin Schirdewan sagte den Funke-Zeitungen, die Möglichkeit eines Asylantrags, auf den die Bundesregierung verweise, sei "kein aktives Schutzangebot".
Laut Außenministerium ist in Deutschland die Zahl der Asylsuchenden aus Russland in den vergangenen Wochen bereits gestiegen. Zahlen für die Entwicklung seit der Teilmobilmachung am Mittwoch lägen aber noch nicht vor, so eine Sprecherin.
Zahlreiche Russen reisen aus
Seit der Ankündigung der Teilmobilmachung durch den russischen Präsidenten Waldimir Putin setzen sich viele russische Männer ins Ausland ab. Viele fliegen in die Türkei, wo Russen visafrei einreisen können. Russischen Touristen ist es bislang auch möglich, per Bus oder Auto über die finnische Grenze in den Schengenraum einzureisen. An den Grenzübergängen im Südosten Finnlands kamen am Donnerstag knapp 6000 Russen an - mehr als doppelt so viele wie vor einer Woche. Auch die zentralasiatische Ex-Sowjetrepublik Kasachstan informierte über vermehrte Migration aus Russland.
Die EU hatte die Einreise für russische Staatsbürger erst Mitte September erschwert. Insbesondere für neue Touristenvisa gelten seitdem höhere Hürden. Die Visa-Gebühr erhöhte sich von 35 auf 80 Euro. Zudem dauert der Antrag deutlich länger. Auch Mehrfach-Einreisen wurden erschwert. Ausnahmen sollen unter anderem aber für russische Journalisten und Kreml-Kritiker gelten.