Konflikt mit Russland Ukraine fordert Waffen von Berlin
Der ukrainische Botschafter hat angesichts des Besuchs von Kanzler Scholz eindringlich an die Bundesregierung appelliert, seinem Land 12.000 Panzerabwehrraketen zu liefern. Ein Krieg sei "immer unausweichlicher".
Vor der Reise von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in die Ukraine hat der Botschafter des Landes in Deutschland, Andrij Melnyk, die Forderung seiner Regierung nach Waffen aus Deutschland bekräftigt. Die Ukraine brauche 12.000 Panzerabwehrraketen sowie 1000 Luftabwehrraketen, um sich gegen einen russischen Angriff verteidigen zu können, sagte Melnyk dem Sender "Bild TV" am Sonntagabend.
"Krieg immer unausweichlicher"
Melnyk erklärte, dass Scholz' Reise nach Kiew am Montag und Moskau am Dienstag "die letzte Chance" für eine diplomatische Lösung im Ukraine-Konflikt sein könnte. Er bekräftigte: "Die Lage ist schon dramatisch. Wir haben schon das Gefühl, dass ein Krieg immer unausweichlicher wird." Seine Regierung mache sich auf das "schlimmste Szenario" gefasst, nämlich "dass die Hauptstadt vielleicht schon in den nächsten Tagen bombardiert werden kann". Bei Flugzeugen und Schiffen sei Russland der Ukraine überlegen: "Da sind wir wirklich eine leichte Beute" für den russischen Präsidenten Wladimir Putin.
Die Bundesregierung lehnt die Lieferung tödlicher Waffen an die Ukraine ab. Sie prüft allerdings, Rüstungsgüter unterhalb dieser Schwelle zur Verfügung zu stellen.
Lindner bekräftigt Sanktionsdrohungen
Auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) warnte vor einer "brenzligen Situation". "Wir versuchen auf allen Kanälen, Russland am Verhandlungstisch zu halten", erklärte sie in den tagesthemen.
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) bekräftigte im "Handelsblatt" die Sanktionsdrohungen der Bundesregierung gegen Russland: "Der Kreml sollte nicht der Fehlannahme unterliegen, dass er politische und territoriale Grenzen überschreiten kann, ohne dafür einen hohen Preis zu zahlen", sagte Lindner. "Die Inbetriebnahme einer Pipeline ist da nur ein Teilaspekt", fügte er mit Blick auf die umstrittene deutsch-russische Gaspipeline Nord Stream 2 hinzu. Der FDP-Vorsitzende verteidigte, dass Scholz nicht explizit mit dem Ende von Nord Stream 2 droht. "Die schlechteste Abschreckung ist die Ankündigung von Maßnahmen, auf die sich ein Gegenüber taktisch vorbereiten kann, um sie zu umgehen", sagte Lindner.
Strack-Zimmermann: Gepanzerte Fahrzeuge liefern
Die verteidigungspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, sprach sich für die Lieferung gepanzerter Fahrzeuge zur Bergung Verletzter aus. "Schwere Waffen, da bin ich strikt dagegen", sagte sie im Deutschlandfunk. Man könne die Ukraine unterstützen, "zum Beispiel in dem man ihnen mittelschwere gepanzerte Fahrzeuge liefert." Gerade im Krieg in der Ostukraine seien viele Verletzte gestorben, weil sie nicht schnell genug hätten geborgen und versorgt werden können. "Wir hätten die Möglichkeit, ihnen Fahrzeuge zu überlassen, um eine Rettungskette sicherzustellen oder die Logistik sicherzustellen. Das wäre eine Möglichkeit, die der Kanzler der Ukraine auch anbieten könnte", sagte Strack-Zimmermann.
Mützenich äußert Verständnis für Putin
Russland verlangt ein Ende der NATO-Osterweiterung und einen Verzicht auf eine mögliche Aufnahme der Ukraine in das westliche Militärbündnis. Der SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Rolf Mützenich, äußerte grundsätzlich Verständnis für die Vorbehalte Russlands. Im ARD-Morgenmagazin sagte er, man müsse über die "berechtigten Sicherheitsinteressen" Russlands weiter verhandeln, um den Ukraine-Konflikt zu entschärfen.
Ein NATO-Beitritt der Ukraine oder Georgiens stehe zur Zeit nicht zur Diskussion. Er teile die russische Position im Ukraine-Konflikt zwar nicht, habe aber Verständnis, dass Moskau einer Erweiterung der westlichen Allianz kritisch gegenüberstehe, sagte Mützenich weiter. Weitere Gespräche mit Moskau seien auch im Rahmen der OSZE möglich - der russische Staatschef Putin sei dazu auch in Berlin willkommen.
Deutschland stellt Wirtschaftshilfe in Aussicht
Inwieweit die Bundesregierung den Wünschen von Kiew nach Waffen nachkommen wird, ist offen. Es gehe dabei neben der politischen Entscheidung auch um die tatsächliche Verfügbarkeit dieses Materials, das von der Bundeswehr auch selbst gebraucht werde, hieß es aus Regierungskreisen.
Anders sieht es mit weiterer Wirtschaftshilfe aus, die von der Ukraine ebenfalls gefordert wird. Angesichts der politischen Turbulenzen befinde sich etwa die ukrainische Währung unter Druck. Deutschland prüfe deshalb, "ob wir noch bilateral Möglichkeiten haben, einen Beitrag zu leisten zur wirtschaftlichen Unterstützung". Details wurden nicht genannt.
Biden telefoniert mit Putin und Selenskyj
Unterdessen hatte US-Präsident Joe Biden am Wochenende mit Kremlchef Wladimir Putin und anschließend mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj telefoniert. Biden warnte den russischen Präsidenten erneut eindringlich vor einer Invasion der Ukraine - und drohte Putin einmal mehr mit schwerwiegenden Konsequenzen. Einen Durchbruch in der Krise brachte das Gespräch nicht.
Nach dem Telefonat mit Selenskyj hieß es aus dem Weißen Haus, Biden habe erneut das Bekenntnis der USA zur Souveränität und territorialen Integrität der Ukraine betont. Die Vereinigten Staaten und ihre Partner würden schnell und entschlossen antworten im Fall jeder russischen Aggression gegenüber der Ukraine.
Russland dementiert Vorwürfe
Angesichts des Aufmarsches Zehntausender russischer Soldaten an der Grenze zur Ukraine hatte die US-Regierung am Freitag davor gewarnt, dass Russland möglicherweise noch vor dem Ende der Olympischen Winterspiele am 20. Februar das Nachbarland angreifen könnte. Der Kreml dementiert solche Vorwürfe vehement.