Rentenreform in Frankreich Die Fronten sind verhärtet
Die Rentenreform erhitzt die Gemüter in Frankreich. Neue Proteste stehen bevor. Die Regierung hält stur an ihren Plänen fest - und die Gewerkschaften halten umso geschlossener dagegen.
Der Platz vor dem Pariser Invalidendom, schwarz vor Menschen - darauf hoffen die Gewerkschaften am heutigen elften Protest- und Aktionstag gegen die Rentenreform. Der Chef der gemäßigten Gewerkschaft CFDT, Laurent Berger, gibt sich kämpferisch: "Ich rufe dazu auf, dass so viele Arbeiterinnen und Arbeiter, so viele Bürger wie irgend möglich auf die Straße gehen - überall im Land. Darum geht es. Wir müssen die Stärke der Demokratie zeigen. Ruhig, gewaltlos, aber die Menschen müssen auf die Straße."
Gewerkschaftsvertreter verlassen Treffen mit Borne
Diesen Appell lancierte Berger nach dem lang erwarteten Treffen gestern zwischen Premierministerin Elisabeth Borne und den verschiedenen Gewerkschaften. Das Gespräch: ein regelrechter Fehlschlag, urteilten Berger und seine Mitstreiter. "Wir alle haben unsere Sicht der Dinge dargelegt und einer nach dem anderen hat die Premierministerin gefragt, ob sie ihr Gesetz zurückzieht. Die Antwort war nein", so Berger.
Danach - so berichten Teilnehmende - seien die Arbeitnehmervertreter geschlossen aufgestanden und hätten den Saal verlassen. Auch Sophie Binet, die neue Chefin der weit links stehenden Gewerkschaft CGT.
Es war gemunkelt worden, dass sie noch radikaler sei als ihr Vorgänger Philippe Martinez, und dass das ungewöhnliche Bündnis der Gewerkschaften deshalb auseinanderzubrechen drohe. Danach sah es gestern nicht aus.
Die Gewerkschaften stehen zusammen
Die verschiedenen Gewerkschaftsvertreter schienen sich genau abgesprochen zu haben, und Binet berichtete kurz nach dem Treffen im Amtssitz der Premierministerin:"Vor uns saß eine radikalisierte, begriffsstutzige und realitätsferne Regierung."
Deren Haltung sei eine Ohrfeige für Millionen von Französinnen und Franzosen, die gegen die Erhöhung des Renteneintrittsalters, die Steigerung der Beitragsjahre und die Abschaffung der Sonderregelungen demonstrierten. Die Durchhaltestrategie der Regierung sei grausam und verantwortungslos, so Binet weiter.
Und Berger sprach von einer sozialen Krise, die sich zu einer regelrechten Demokratiekrise ausgewachsen habe.
So aufgebracht die Gewerkschaftsvertreter, so nüchtern einmal mehr die Premierministerin. Sie erklärte nach dem Treffen, es habe einen respektvollen Austausch gegeben. "Jeder konnte dem anderen zuhören und seine Meinung darlegen. Leider hat unsere unterschiedliche Ansicht, was das Renteneintrittsalter anbelangt, dazu geführt, dass wir nicht tiefgreifender diskutieren konnten."
Wieder Proteste und Streiks
Die Premierministerin hätte gerne über rentenverwandte Themen gesprochen. Zum Beispiel: Arbeitsbedingungen und Arbeitslosigkeit im Alter. Das aber lehnten die Gewerkschaften ab. Sie pochen darauf, dass zuerst die Rentenreform zurückgezogen werden müsse.
Deshalb also wieder Protest und neuer Streik. Im Nah- und Fernverkehr, bei der Müllabfuhr und an Schulen. Die Gewerkschaften hoffen auf rege Beteiligung und sie setzen auf den Verfassungsrat. Der wird in gut einer Woche darüber entscheiden, ob die Rentenreform rechtskonform ist oder nicht.