Nach der Parlamentswahl Warum Portugal nach rechts rückt
Der Erfolg der Rechtspopulisten "Chega" bei der Parlamentswahl in Portugal ist ein Denkzettel für Sozialisten und Konservative. Er zeigt, wie unzufrieden die Wähler sind. Wie geht es nun weiter?
Am Tag nach der Parlamentswahl ist vom politischen Beben der Nacht nichts zu sehen. Es gibt kaum mehr Wahlplakate, und wie jeden Tag drängen sich Tausende Touristen durch die Gassen Lissabons, sitzen in den Cafés, es herrscht ein deutsch-spanisch-englisches Stimmengewirr.
Nebenan am Zeitungskiosk gehen die Schlagzeilen aus der Nacht über den Tresen. "Ein Land geht nach Rechts", titelt eine Zeitung. Zeitungsverkäufer Faustino Lopes Baiao meint, das Ergebnis zeige, dass die Portugiesen die Nase voll hätten von den Sozialisten, dem Pendant zur SPD, und auch von der PSD, das sind die Konservativen: "Die sind doch alle gleich."
Vielleicht hat er damit auf den Punkt gebracht, was am Wahltag so viele Portugiesinnen und Portugiesen so zahlreich wie lange nicht in die Wahllokale trieb: der Ärger über die Korruptionsaffären der beiden Parteien, die sich jahrzehntelang mit dem Regieren abgewechselt hatten. Und darüber hinaus der Ärger über die Sozialisten, die zwar in ihrer jüngsten Regierungszeit die Wirtschaft vorangebracht und die Defizite des Staates verringert hatten, aber nicht dafür sorgten, dass sich all das in Wohlstand für alle auszahlte.
Vertrauen in Politik verloren
Die Unzufriedenheit darüber ist ein Grund dafür, dass die rechtspopulistische Partei "Chega" - zu Deutsch "Es reicht" - ihr Ergebnis von 2022 mehr als verdoppeln konnte und jetzt mit 18 Prozent als drittstärkste Partei im Parlament sitzt.
Politologin Isabel David, die an der Universität Lissabon forscht, erklärt, mehr als die Hälfte der Portugiesinnen und Portugiesen vertrauten weder Parteien, noch der Regierung oder den Medien. Das sei schon seit einigen Jahren so. "Diesen Vertrauensverlust zusammen mit der Krise auf dem Wohnungsmarkt, der Inflation, der Korruption und dem Chaos im Gesundheitssystem nutzt 'Chega' aus. Und dann haben sie noch eine sehr effektive Social-Media-Strategie."
Und die hat offenbar dafür gesorgt, dass "Chega" auch viele junge Wähler mobilisierte, die keine Zukunft in ihrem Land sehen, etwa weil sie wissen, dass viele gut ausgebildete Ärzte auswandern, um anderswo einen angemessen bezahlten Job zu bekommen.
Vorerst keine Partner in Sicht
"Chega"-Spitzenkandidat André Ventura rief seinen jubelnden Anhängern in der Wahlnacht zu: "Wir haben das Mandat, Portugal in den nächsten vier Jahren zu regieren."
Aber wie? Welche konkreten politischen Ideen die Partei hat, um die Probleme des Landes zu beseitigen, wurde bisher wenig diskutiert. Und mit wem sollte "Chega" sie umsetzen? Der Spitzenmann der hauchdünn vorn liegenden "Demokratischen Allianz", Luis Montenegro, hat vor der Wahl und auch nach Veröffentlichung der ersten Wahlergebnisse ausgeschlossen, mit den Rechtsaußen-Politikern zusammenzuarbeiten.
Hält die Brandmauer?
Aber ohne die Rechtspopulisten hat sein Parteienbündnis keine Mehrheit, müsste also allein regieren. Das heißt: Für jedes Gesetzesvorhaben oder auch für die Verabschiedung des Staatshaushaltes bräuchte die Regierung die Stimmen anderer Fraktionen.
Aber wenn die Brandmauer gegenüber den Rechten, die es auch in Portugal gibt, steht, bleiben Montenegro kaum Optionen zur Zusammenarbeit. Denn: Der gescheiterte Spitzenkandidat der Sozialisten, Pedro Nuno Santos, hat nach dem Wahldebakel angekündigt, in die Opposition zu gehen und seine Partei zu erneuern. "Auf uns kann die 'Demokratische Allianz' nicht zählen. Wir werden nicht diejenigen sein, die die Konservativen beim Regieren unterstützen."
Das klingt auch nach einer klaren Absage an eine "Große Koalition", die ja in Deutschland in einem solchen Fall die naheliegende Lösung wäre. In Portugal ist das quasi ein "No Go". Minderheitsregierungen sind hingegen durchaus nicht unüblich, aber eben instabil.
Baldige Neuwahlen nicht ausgeschlossen
Nun fragen sich viele Portugiesen, wie es weitergeht in ihrem Parlament. Manche Kommentatoren sehen Portugal schon kurz vor erneuten Wahlen. Klar ist nur, dass die Regierungsbildung keine Frage von Tagen, eher von Wochen ist. Und noch steht das amtliche Endergebnis aus. Denn die Stimmen der Portugiesinnen und Portugiesen, die im Ausland leben, müssen noch gezählt werden.
Aber auch mit diesen Stimmen dürfte die Regierungsbildung der Quadratur des Kreises gleichen. Zeitungsverkäufer Faustino Lopes Baiao dürfte noch viele dicke Schlagzeilen dazu über seinen Kiosk-Tresen reichen.