Polen Opposition macht gegen "Lex Tusk" mobil
Polens Opposition hofft, dass die Regierung mit einem neuen Gesetz heute zehntausende Bürger auf die Straße treibt. Es könnte dazu führen, dass der führende Oppositionspolitiker Tusk auf Jahre aus der Politik ausgeschlossen wird.
Ein "Meer aus weiß-roten Fahnen" verspricht Donald Tusk. Man werde "ihnen eine öffentliche Beratung bieten, wie sie sie noch nie gesehen haben".
So ruft der frühere polnische Ministerpräsident und heute wichtigste Kandidat der polnischen Opposition zum "Marsch des 4. Juni" durch Warschau auf. Geht es nach Tusk, wird dieser Sonntag eine Machtdemonstration der Opposition.
In Polen wird im Spätherbst ein neues Parlament gewählt und bisher dominiert die regierende PiS-Partei die Debatte. Die Oppositionsparteien sind vor allem damit beschäftigt, zu reagieren - auf die großzügigen finanziellen Wahlversprechen der PiS und auf die seit Monaten laufende deutschland- und EU-kritische Kampagne und den Vorwurf, DTusk sei ein Agent deutscher Interessen.
Der Marsch durch die Warschauer Innenstadt soll nun die Wende bringen. Die Opposition will Präsenz zeigen, kämpferisch und entschlossen wirken, denn noch ist die Wahl laut Umfragen offen. Erwartet werden mehrere zehntausend Teilnehmende, manche Schätzungen sprechen von mehr als 100.000.
Umstrittener Auschwitz-Spot
Die PiS-Partei gibt sich daher größte Mühe, die Demonstration schon vorab zu diskreditieren. Vor allem ein Onlinespot sorgte dabei für Kritik. In dem Film wird der Marsch mit dem Konzentrationslager Auschwitz in Verbindung gebracht.
Zwar hatte zuvor der polnische Journalist Tomasz Lis, ein bekannter Kritiker der PiS, getweetet, auch für Präsident Andrzej Duda und den PiS-Vorsitzenden Jaroslaw Kaczynski werde sich "eine Kammer" finden - eine Formulierung, die weithin als Bezug zu Gaskammern verstanden wurde. Lis entschuldigte sich später, er habe eine Gefängniszelle gemeint.
Dass die PiS in ihrem Werbespot diesen Bezug zu Auschwitz aufgenommen hat, gilt allerdings als größerer Tabubruch und hat ihr nicht zuletzt Kritik von der Gedenkstätte Auschwitz und Präsident Duda selbst eingebracht.
Ein Gesetz wird für die PiS zum Problem
Tatsächlich ist es aber vor allem die PiS-geführte Regierung selbst, die dem Marsch den größten Zulauf verschaffen könnte. Grund dafür ist die umstrittene sogenannte "Lex Tusk". Anfang der Woche hatte Präsident Duda in einer Fernsehansprache erklärt, er werde ein Gesetz zur Untersuchung russischer Einflüsse auf die polnische Politik unterzeichnen.
Demnach soll eine Sonderkommission ermitteln, ob in den Jahren ab 2007 - also genau ab der Regierungszeit des heutigen Oppositionskandidaten Tusk - Russland Einfluss auf die polnische Politik nehmen konnte. Tusk werden unter anderem für Polen ungünstige Gaslieferverträge vorgeworfen.
Die Kommission soll vom Parlament bestimmt werden, gerichtsähnliche Kompetenzen haben und zugleich Ankläger und Richter sein. Sie könnte rückwirkend Verwaltungsentscheidungen aufheben, vor allem aber Verwaltungsmitarbeiter und Politiker wegen vermeintlich russlandfreundlicher Handlungen bestrafen.
Bis zu zehn Jahre, so das Gesetz, sollen Beschuldige von öffentlichen Ämtern ausgeschlossen werden können. Das wäre das Ende jeder politischen Karriere. Und bereits im Gesetzestext ist festgelegt, wann die Kommission einen ersten Bericht vorlegen soll: am 17. September, dem Jahrestag des sowjetischen Angriffs auf Polen 1939.
Erkennbarer Angriff auf Donald Tusk
"Lex Tusk" nennen Kritiker das Gesetz, weil es sich um den klar erkennbaren Versuch handelt, mit Tusk den stärksten Gegner der PiS vor den Wahlen aus dem Rennen zu nehmen oder zumindest zu beschädigen. Die EU-Kommission zeigte sich besorgt, ebenso wie der Botschafter der USA in Polen.
Etliche polnische Juristen bezweifeln, dass das Gesetz verfassungskonform ist, darunter 17 ehemalige Verfassungsrichter, die in einem offenen Brief nicht nur Kritik an der "Lex Tusk" äußern, sondern ganz grundsätzlich die Einschnitte in die Unabhängigkeit polnischer Gerichte durch die PiS beklagen. Und so macht die "Lex Tusk" aus dem Wahlkampfmarsch der Opposition am 4. Juni eine Demonstration für die Demokratie in Polen.
Der Präsident rudert zurück
Die heftige Kritik an dem Vorhaben scheint auch die polnische Staatsspitze überrascht zu haben. Aus dem Umfeld von Duda hieß es erst, der Präsident wolle seinem US-Amtskollegen Joe Biden das Gesetz in einem Telefonat erklären.
Am Freitagvormittag stand Duda dann wieder vor den Kameras. Nur zwei Tage nach Inkrafttreten des Gesetzes versuchte der Präsident, die Sonderkommission zu entschärfen. Er werde dem Parlament vorschlagen, die Kommission ausschließlich mit Experten zu besetzen, nach einem Urteil eine Berufung vor regulären Gerichten zu ermöglichen und - das dürfte entscheidend sein - es bei Empfehlungen zu belassen.
Die Möglichkeit einer Strafe, der zehnjährige Ausschluss aus der Politik, soll einkassiert werden. Die Kommission selbst, so Duda, diene aber dem Interesse Polens und solle kommen.
Lächelnd verfolgte Tusk eine Parlamentsdebatte über ein Gesetz zur Untersuchung des russischen Einflusses in Polen - ahnte er, dass es für die PiS zum Boomerang werden würde?
Erinnerung an 1989
Die PiS-Partei und der ihr nahestehende Präsident seien in Panik, wurde danach vielfach kommentiert. Der Versuch, die Opposition zu attackieren, könnte auf die Nationalkonservativen zurückfallen.
Und nicht nur die PiS hat ein Händchen für historisch aufgeladene Daten. Denn nicht zufällig findet der Protestmarsch durch Warschau am 4. Juni statt. 1989 gab es an diesem Tag die ersten halbfreien Wahlen in Polen seit dem Zweiten Weltkrieg. Zum ersten Mal konnten Polinnen und Polen zumindest einen Teil der Abgeordneten wieder frei wählen - es war das Ende der Diktatur.
An dieses Gefühl möchten die polnischen Oppositionsparteien an diesem Sonntag anschließen - allen voran Tusk.