Grenze zwischen Polen und Belarus Wieder Normalität in der einstigen Sperrzone?
Seit dem vergangenen Sommer wimmelte es in Polens Sperrzone zu Belarus von Militärs. Touristen durften nicht einreisen. Das Gebiet ist nun wieder zugänglich, doch die Sorgen von Hoteliers und Restaurantbesitzern sind groß.
"Wollen Sie nach Zimmern fragen? Das wäre nett!" So begrüßt Dorota Touristen an diesem sonnigen Morgen in der Kleinstadt Bialowieza, mitten im Herzen eines der schönsten Nationalparks von Polen. Dorota wartet hier auf die ersten Übernachtungsgäste seit zehn Monaten.
Seit dem Spätsommer des vergangenen Jahres hat es ausgerechnet hier, an diesem zauberhaften Ort, keine Touristen gegeben. Denn Dorotas kleines Gästehaus mit dem Namen "Sonnenschein" liegt genau in dem drei Kilometer langen Streifen, der an der belarusischen Grenze zur Sperrzone erklärt worden war. Anstelle der Hausgäste wimmelte es hier überall von Soldaten und Polizisten.
"Ich fühlte mich verfolgt"
Dorota hat ein merkwürdiges Gefühl: Sie fühlt sich irgendwie frei. Denn als sie von ihrem anderen Haus nach Bialowieza kam und keine Polizei sah, dachte sie sich: "Mein Gott, ist das schön!" Das empfinde sie als Freiheit. "Ich bin nicht mehr so beschränkt, ich bin nicht im Käfig und man sieht auf den Straßen weder Polizei noch Militär."
Zuvor musste sie jedes Mal, wenn sie kam, anhalten und sich ausweisen. Ihr Kofferraum wurde nach Flüchtlingen durchsucht, erinnert sie sich. "Das war sehr beschwerlich. Ich fühlte mich verfolgt."
Noch immer viele Militärs in der Region
Doch für Touristen, die in diesen Tagen zum ersten Mal wieder in die Sperrzone hinein dürfen, entsteht ein etwas anderer Eindruck. Denn es sind durchaus noch viele Militärangehörige und Polizeikräfte zu sehen. Die allerdings freundlich grüßen. Wird es irgendwann, oder vielleicht schon bald wieder Normalität in der Region geben?
"Ich möchte das glauben, aber ich habe ein Gefühl, das sie wohl nicht zurückkehren wird", sagt Dorota. Das Ganze werde irgendeine Fortsetzung haben. Es gebe so eine Unruhe. "Heute freue ich mich, ich warte auf Gäste, denn ich habe schon eine Reservierung. Die erste", sagt sie. Bis zum letzten Moment habe sie nicht gewusst, ob sie wieder öffnen soll. "Jetzt weiß niemand, ob diese Freiheit die Normalität geben wird, oder ob etwas gleich wieder passiert."
Sorgen beim Fahrradverleiher
Nur rund zwei Kilometer entfernt von Dorotas kleinem Gästehaus betreibt Slawomir Dron ein Restaurant mit angrenzendem Fahrradverleih. Auch er wartet mit besorgter Miene auf Gäste. Er glaubt nicht, dass der fünfeinhalb Meter hohe Grenzzaun aus Stahl eine neue Touristenattraktion wird. So hatte ihn der polnischen Sender TVP in einer Sondersendung gefeiert.
"Ich denke, ganz im Gegenteil. Wir sind hier im UNESCO-Welt-Naturerbe, das sich zum Teil auf der belarusischen und der polnischen Seite befindet", sagt er. Das mit einem Zaun zu trennen, werde die Flüchtlinge nicht daran hindern, durchzukommen, aber leider werde es eine Sperre für die Tiere sein - für den Luchs, für Wölfe, Hirsche, und Elche.
"Zweitens weiß ich nicht, ob es ein gutes Signal für die Opposition in Belarus ist, dass wir uns von ihnen durch eine Mauer trennen. Wir hatten eine Mauer in Berlin, die hat nichts Gutes gebracht."
Viele leiden an Depressionen
Im Vergleich zum Sommer des vergangenen Jahres liegt die Zahl der Reservierungen in den Hotels und Pensionen der einstigen Sperrzone bei 15 Prozent. Die Nachricht von der Beendigung muss sich jetzt überall erst mal rumsprechen. Restaurantbetreiber und Fahrradverleiher Slavomir Dron blickt aber nicht nur in die Zukunft, sondern auch auf die Schäden, die die Situation im letzten Jahr in den Seelen der Anwohnerinnen und Anwohner hinterlassen hat.
"Meine Frau ist Allgemeinärztin in Bialowieza und sie sieht, wie viele Menschen aus diesem Grund unter Depressionen leiden. Die sind doch gebrandmarkt", sagt er. Wer werde sich jetzt mit diesen Menschen beschäftigen? Wer werde sie behandeln? "Das war eine sehr schwierige Zeit und sie wird sich bestimmt auf die Gesundheit der Bevölkerung sehr stark auswirken."
187 Kilometer langer Grenzzaun
Das Drama begann, als gegen Ende des Sommers 2021 hier in der Grenzregion plötzlich viele Menschen aus dem Nahen Osten, aus Afrika und anderen Erdteilen auftauchten. Sie wollten illegal auf das Gebiet der Europäischen Union gelangen. Dies geschah offenbar mit ausdrücklicher Billigung des belarusischen Machthabers Alexander Lukaschenko, der gerne als verlängerter Arm des russischen Präsidenten Wladimir Putin agiert.
Polen und die Europäische Union begriffen das als Provokation. Am Ende stand der soeben fertig gestellte 187 Kilometer Grenzzaun. Jetzt müssen die Anwohnerinnen und Anwohner irgendwie damit umgehen. Ebenso wie die Touristen.
Slavomir Dron sieht die Gäste, die jetzt anreisen wollen, klar im Vorteil: "Im Moment ist es doch eine hervorragende Zeit, für jemanden, der nach Bialowieza kommen will und nicht will, dass es hier zu viele Menschen gibt. Ich würde wirklich empfehlen jetzt zu kommen."
"Bis zur Pandemie lief alles gut"
Gegen 10 Uhr stehen die Verkäuferinnen und Verkäufer von kleinen Wisenten aus Plüsch noch alleine vor ihrer Ware. Doch schon gegen Mittag sind die ersten Interessenten eingetroffen. Der Optimismus bei Robert Latawiec nebenan im Tourist-Office ist auch schon etwas gestiegen.
"Wir vermitteln Naturschutzparkführer, die durch den komplett unter Naturschutz stehenden Teil des Bialowieza-Urwalds führen." Aber sein Büro organisiere auch Touren, auf denen man Wildtiere oder Vögel beobachten könne. "Denn wir haben hier noch Gattungen, die für die Gäste aus West- oder Zentraleuropa fremd sind."
Es gebe schon einzelne Interessierte, aber das sei nicht das, was vor der Pandemie war. "Denn bis zur Pandemie lief alles sehr gut, es kamen immer mehr Touristen, und jetzt hoffen wir, dass das ab dem 1. Juli das wieder so wird. Ich hoffe, das wird nicht langsam, sondern schnell gehen."