Afghanische Flüchtlinge Eingekeilt zwischen Belarus und Polen
Im Grenzgebiet zwischen Polen und Belarus harren seit rund einem Monat afghanische Flüchtlinge aus, die weder vor noch zurück können. Ihre Lage schildern sie im Interview als dramatisch, sie sprechen von Hunger und Schwäche.
Es ist ein Drama ohne Ende. 32 Afghanen stecken seit fast anderthalb Monaten an der polnischen Grenze zwischen Belarus und Polen fest. Für sie gibt es kein Weiter und kein Zurück. Die polnische Seite lässt sie nicht rein und spricht von illegaler Migration. Seit Wochen fordern Vertreter von Hilfsorganisationen und der Opposition Polens, zumindest die Schutzbedürftigkeit dieser Menschen zu prüfen. Dass dies bis jetzt nicht geschehen ist, bemängelten jüngst auch UN-Vertreter.
Als jüngsten Schritt rief die polnische Regierung in der Grenzregion den Ausnahmezustand aus - mit einer drei Kilometer breiten Sperrzone. Weder Helfer noch Medienvertreter dürfen seitdem in Grenznähe. Doch Gefahr gibt es inzwischen auch für die Gesundheit der Menschen, die zwischen Belarus und Polen festhängen.
Nachts ist es schon sehr kalt und die Menschen müssen im Freien schlafen; es scheint, dass sie am Ende ihrer Kräfte angekommen sind. Dem WDR gelang es, einen telefonischen Kontakt zu einem der betroffenen Afghanen herzustellen. Der Mann, der hier Abdul Ali heißen soll, erzählte mit schwacher Stimme, dass er sich bei den anderen Flüchtlingen befindet - nach seiner Aussage 27 Männer und fünf Frauen. Die jüngste sei 15 Jahre alt.
WDR: Wo sind Sie genau und wie geht es Ihnen?
Abdul Ali: Wir sind zwischen der polnischen und belarusischen Grenze, seit etwa 32 oder 33 Tagen. Es ist sehr schlimm. In den ersten Tagen kamen Leute aus Polen, ich glaube, von den UN, die versucht haben, uns mitzunehmen. Aber das hat nicht geklappt. Sie haben uns ein paar Sachen gebracht, aber das reicht nicht für 32 Leute. Sie haben damit aufgehört.
Jetzt reden sie nicht mehr mit uns, sie antworten nicht, wenn wir sie ansprechen. Dann ist mal von der belarusischen Seite Hilfe von den UN gekommen. Sie haben uns etwas Kekse, Rindfleisch und Wasser gegeben. Das waren ganz kleine Portionen. Das haben wir so aufgeteilt, dass es für ein paar Tage reicht. Jetzt kriegen wir einmal am Tag eine 500-Gramm-Packung Weizen für 32 Personen. Das kochen wir mit Wasser. Das Wasser ist weit weg. Das filtern wir mit einem Taschentuch. Belarus gibt uns genau so viel, dass wir nicht sterben. Es ist kalt und wir werden immer kranker. Mein ganzer Körper tut weh.
WDR: Waren Sie schon auf polnischem Boden?
Abdul Ali: Wir waren schon 10, 20 Kilometer auf polnischem Boden, dann haben sie uns hierher zurückgebracht. Wir haben gesagt, dass wir um Asyl bitten. Da waren Beamte und Anwälte und UN-Vertreter, die Zelte gebracht haben. Und wir haben Formulare ausgefüllt. Sie waren ein paar Tage in unserer Nähe. Aber jetzt hat man einen menschlichen Schutzzaun um uns gebaut. Jetzt sind vor uns polnische Soldaten und hinter uns die belarusischen.
Wir wissen nicht, was wird, wir haben keine Informationen. Wir wissen auch nicht, was stimmt und was nicht. Wir haben keine Hoffnung mehr. Wir bitten Europa: Bitte helfen Sie uns! Wir können weder vor noch zurück. Es ist egal, welches Land uns aufnehmen würde - wir konnten nicht in Afghanistan bleiben. Sie wissen doch, wie die Taliban mit den Menschen umgehen. Jeder hat hier einen Grund, warum sein Leben in Gefahr ist. Bitte lassen sie uns in ein anderes Land gehen. Wir haben kein Brot, kein Wasser. Wir haben nichts. Bitte sorgen Sie dafür, dass die polnische Regierung uns hört.
Polnische Regierung macht Belarus verantwortlich
Die polnische Regierung wirft dem belarusischen Machthaber Alexander Lukaschenko vor, gezielt Menschen an die Grenze zum Nachbarstaat zu bringen. So versuchten illegale Migranten aus Ländern wie dem Irak oder Afghanistan, illegal über die grüne Grenze nach Polen zu gelangen. Polen setzt trotz aller Kritik auf Härte und riegelt ab. Mit Stacheldraht, Grenzschützern und Soldaten.
Innenminister Mariusz Kaminski rechtfertigt die Maßnahme: "Wir werden nicht zulassen, dass Polen zu einer weiteren Route für den Massenschmuggel von illegalen Migranten in die Europäische Union wird. Wir werden nicht zulassen, dass die Sicherheit unserer Bürger, vor allem unserer Bürger, die an der Grenze zu Belarus leben, in Gefahr ist."
Hier soll kein Durchkommen mehr sein: Seit August riegelt Polen die Grenze zu Belarus mit Stacheldraht ab.
Zweieinhalb Meter hoher Stacheldrahtzaun entsteht
Undurchlässig soll die Grenze zu Belarus werden. Deshalb entsteht jetzt ein zweieinhalb Meter hoher Stacheldrahtzaun entlang der 400 Kilometer langen Grenze zu Belarus. Nach eigenen Angaben verhinderten die Grenzschutzbehörden allein im August mehrere Tausend illegale Grenzübertritte.
Dass jetzt nicht einmal den Afghanen geholfen wird, empört die polnische Opposition, die eine Protestaktion vor dem polnischen Parlament mitveranstaltete. Franciszek Sterczewski von der Bürgerkoalition sagte, es sei "eine große Schande für unseren Staat, dass wir nicht im Stande sind, den 32 Afghanen, die unrechtmäßig in diesem Grenzlager eingesperrt sind, zu helfen".
Als der Zugang zur Grenze noch möglich war, war Sterczewski für einige Tage im Gebiet. Auch seiner Meinung nach kam es dort zu illegalen "Pushbacks", also dem Zurückdrängen bereits nach Polen gelangter Migranten in Richtung Belarus.
Jetzt wären solche Beobachtungen nicht mehr möglich, denn im Grenzgebiet herrscht der Ausnahmezustand. Der bedeutet wohl zunächst auch für die gestrandeten Afghanen keine Aussicht auf Hilfe - obwohl die gerade dringend nötig ist.