Pressefreiheit in Polen "Dieses Gesetz ist doppelt scheußlich"
Die Koalition ist zerbrochen und dennoch ist es Polens Regierung gelungen, ein höchst umstrittenes Mediengesetz durch das Parlament zu bringen. Nur kurz sah es so aus, als könne die Opposition das Vorhaben verzögern.
Für einen Moment sah es gestern Abend so aus, als hätte die polnische Opposition dem Regierungslager die erste empfindliche Niederlage seit Amtsantritt der PiS-Regierung zugefügt. Stehend jubelten ihre Abgeordneten, während die Regierungsbank um PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski von Schockstarre gelähmt schien. Was war passiert?
Listig hatte der Chef der konservativen Partei PSL, Wladyslaw Kosniak-Kamysz, eine Verschiebung der Plenarsitzung beantragt, mit Blick auf einige neue, von der Opposition in die Tagesordnung geschleuste Vorstöße, etwa zur Corona-Politik. Der Gesundheitsminister müsse sich doch darauf erst vorbereiten, sagte Kosniak-Kamysz unschuldig, es müsse ja alles sorgfältig sein, weshalb man im Parlament Anfang September weiter beraten solle.
Womit kaum einer gerechnet hatte: Eine Sejm-Mehrheit stimmte für die Vertagung, und zwar noch vor der Abstimmung über das neue Mediengesetz, das die PiS auf Biegen und Brechen durchsetzen wollte und für das sie sogar den Bruch mit einem Juniorpartner riskiert hatte.
Siegestaumel von kurzer Dauer
Doch der Siegestaumel der Opposition sollte nicht lange anhalten. Erste Gerüchte wurden schnell zur Gewissheit: PiS ließ die Abstimmung wiederholen, drei Abgeordnete der rechten Protestpartei Kukiz 15 gestanden einen "Irrtum" ein und stimmten nun gegen die Vertagung.
Der Jurist und Rechtsstaatsaktivist Michal Wawrykiewicz stand nicht allein mit seiner Einschätzung, dass die Parlamentsleitung mit der Zweitansetzung der Abstimmung Recht gebrochen habe: "Die wiederholte Abstimmung in einer Situation, in der die Regierungspartei eindeutig verloren hat, ist ein klarer Verstoß gegen die Vorschriften und kann ein Amtsverbrechen sein, denn es gab überhaupt keine Gründe für die Wiederholung. Das alles ist eine rechtliche Barbarei."
"Es vernichtet freie Medien"
Gleichwohl war nun der Weg doch frei für die Abstimmung auch zum Rundfunkrecht, dessen Novellierung dem regierungsunabhängigen großen Privatsender TVN die Sendelizenz kosten könnte, es sei denn, der Eigentümer, der US-Konzern Discovery, gibt die Mehrheit daran ab.
Beobachter in Warschau sind erstaunt, dass PiS so weit geht, die Beziehungen mit den USA aufs Spiel zu setzen. PSL-Chef Kosniak-Kamysz meinte in der Debatte: "Immer, wenn es scheint, schlimmer und schädlicher geht es nicht, erweist sich, es geht doch. Dieses Gesetz ist doppelt scheußlich: Es vernichtet freie Medien und ruiniert die Beziehungen zu unserem wichtigsten Alliierten."
"Wir wissen ganz genau, warum Ihr das macht"
Zuvor hatte der Autor der Gesetzes-Novelle, der PiS-Politiker Marek Suski, das Vorgehen unter "Schande"-Rufen verteidigt. Dieses Gesetz sei "nichts Neues", denn es gebe schon eine Vorschrift, die den Anteil für Medienunternehmen von außerhalb des europäischen Wirtschaftsraums auf 49 Prozent des Kapitals begrenzt. "Wir ändern da nichts, die Novelle will Vorschriften nur präzisieren, damit man sie nicht mehr umgehen kann."
Etwa über europäische Tochtergesellschaften wie bei TVN - hier drückte die Medienaufsicht bislang ein Auge zu, und die USA gelten ja eigentlich auch nicht als feindliche Macht, gegen die sich das Gesetz offiziell richtet. Augenwischerei, monierte im Parlament Borys Budka von der liberalen Bürgerplattform. "Wir wissen ganz genau, warum Ihr das macht. Ihr habt Angst davor, dass man Euch auf die Finger schaut. Ihr habt die Staatsanwaltschaft übernommen, den Sejm, alle staatlichen Institutionen, um dieses System zu vollenden, wollt ihr nun die Medien übernehmen."
In Sack und Tüten ist das Gesetz aber noch nicht. Der Senat kann es noch ablehnen, und um das Oberhaus zu überstimmen, braucht es formal noch mehr Überläufer. Dann nämlich ist - anders als gestern Abend - eine absolute und keine einfache Mehrheit erforderlich.