Herbert Kickl
analyse

Parlamentswahl in Österreich Schwierige Regierungsbildung nach FPÖ-Sieg

Stand: 30.09.2024 03:21 Uhr

Nun ist es offiziell: Die Rechtspopulisten sind in Österreich mit 29,2 Prozent erstmals Sieger bei einer Parlamentswahl. Die bisherigen Regierungsparteien stehen als Verlierer da. Eine Zusammenarbeit mit dem FPÖ-Vorsitzenden Kickl schließen sie aber aus.

Österreich hat gewählt, aber deswegen noch lange keine neue Regierung. Die alte ÖVP-Grünen-Koalition wird ihren Rücktritt anbieten, Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen wird ihn annehmen - und den bisherigen Bundeskanzler Karl Nehammer gleichzeitig bitten, die Geschäfte mit seiner alten Regierung doch weiterzuführen, bis sich im Nationalrat, dem österreichischen Parlament, neue Kanzlermehrheiten gefunden haben. Also: eine neue "tragfähige" Koalition, so der Bundespräsident.

Vorläufiges Endergebnis

Laut vorläufigem Endergebnis kommt die rechte FPÖ auf 29,2 Prozent (+13,0). Die bisherige Kanzlerpartei ÖVP wurde mit 26,5 Prozent (-11,0) der Stimmen auf den zweiten Platz verdrängt. Drittstärkste Kraft ist die sozialdemokratische SPÖ mit 21,0 Prozent (-0,1). Die Liberalen Neos bekamen acht Prozent der Stimmen (+0,9). Die Grünen, die bislang mit den Konservativen regierten, kamen diesmal nur auf 7,4 Prozent (-5,6).

Ein Wahlabend, der viele beunruhigt

Das kann dauern, sehr lange sogar, der österreichische Rekord dafür liegt bei etwas sechs Monaten. Aber diese Zeit sei "eine gut investierte Zeit", so der Mann in der Hofburg. Der, nachdem am Wahlergebnis nicht mehr viel zu rütteln war, wie immer durch die mit rotem Purpur bespannte Tapetentür in der Hofburg kam - und beruhigende Worte sprach. An einem Wahlabend, der viele beunruhigt.

Zum ersten Mal in der Geschichte dieser Republik ist die rechte FPÖ stärkste Partei im österreichischen Parlament, knapp an den 30 Prozent vorbei, nach einem großen Plus von 13 Prozentpunkten. Dazu deutlich vor der konservativen Volkspartei ÖVP, die es nur noch auf 26,5 Prozent brachte, nach dem größten Stimmenverlust in der Geschichte der ÖVP: minus 11 Prozentpunkte im Vergleich zur letzten Nationalratswahl.

Ein tiefer Fall, "bitter“ sagt der ÖVP-Vorsitzende und Bundeskanzler Nehammer, will aber auch ein bisschen schönreden, er habe die Partei damals, nach dem Absturz des ÖVP-Jungstars Sebastian Kurz, bei nur 21 Prozent übernommen. Es war also noch schlimmer. Außerdem: Der ÖVP-Mann bleibt erstmal Kanzler, vielleicht noch sehr lange.

Zwischen Schockstarre und Jubel

Der Jubel auf der Wahlparty der FPÖ war sehr groß und laut, als die blaue FPÖ-Säule der ersten Hochrechnung deutlich über die der ÖVP hinaus wuchs. Umgekehrt war es sehr still in den anderen Partei-Locations, mit wenigen Ausnahmen. Österreich kurz in Schockstarre - oder eben mit jubelnd hochgerissenen Armen.

Eine Richtungswahl, deshalb auch die hohe Wahlbeteiligung von fast 80 Prozent - und keine Überraschung. An die 30 Prozent für die FPÖ, das war fast das ganze Jahr über das Ergebnis der Sonntagsfragen für die ÖVP. Dass die bewusst zurückhaltenden Auftritte Nehammers als erfahrener Krisenkanzler im Hochwassergebiet, kurz vor der Wahl, noch etwas zugunsten der FPÖ geändert hätten, das war Wunschdenken.

Kickl: "Machtwort" der Wähler

Der Wähler habe ein "Machtwort" gesprochen, lässt der FPÖ-Vorsitzende in der Wahlrunde wissen, ruhig im Ton, ganz anders als auf den Wahlveranstaltungen und bei seinen Bierzeltauftritten. Er strecke die Hand aus, sei bereit zu regieren, die Gespräche mögen beginnen.

Herbert Kickls Problem: Keiner will seine ausgestreckte Hand nehmen. Niemand aus den anderen Parteien will mit ihm zusammenarbeiten. "Er oder ich", damit hatte sich Nehammer durch das Wahljahr gekämpft, dabei bleibt er auch am Wahlabend - und gibt sich überzeugt, dass er dabei auch seine ÖVP geschlossen hinter sich hat. Für alle anderen Parlamentsparteien steht sowieso fest: nicht mit Kickl, auch nicht mit seiner FPÖ.

SPÖ als "Brandmauer" gegen FPÖ

Ein kleiner, feiner Unterschied: Zusammenarbeit mit der FPÖ - ohne Kickl - diese Tür lässt die konservative Volkspartei bewusst offen. Schon jetzt sind die Schnittmengen groß: in der Wirtschaftspolitik, bei Fragen der Migration. Und das Wahlergebnis bewegt ÖVP-Mann Nehammer auch, er signalisiert, er habe verstanden.

"Die Sorgen, bei denen sich die Menschen finden", Kickl sei dafür der bessere Ansprechpartner, jetzt als Nummer eins, die, so Nehammer, nehme er "sehr ernst". Aber in der Art, wie diese Probleme politisch gelöst werden sollen, unterscheide man sich fundamental. Wenn seine ÖVP mitspielt, muss der ÖVP-Vorsitzende nicht mit der FPÖ koalieren. Egal ob mit oder ohne Kickl.

Die SPÖ positionierte sich im Wahlkampf bereits als "Brandmauer" gegen die FPÖ. Sie brächte 21 Prozent mit, auch das historisch wenig, aber es könnte reichen. Und dann gäbe es noch die liberalen NEOs, kleine Gewinner dieser Wahl, mit neun Prozent - ein Prozentpunkt mehr als bisher. "Ich will Sie nicht in der Regierung haben", sagte Parteichefin Beate Meinl-Reisinger freundlich lächelnd dem Wahlsieger Kickl ins Gesicht, weil "ich halte das nicht für gut für unser Land".

Respekt für "Grundpfeiler der liberalen Demokratie"

Was gut ist für Österreich, das hat der Bundespräsident noch einmal für alle definiert: Ein neuer Kanzler müsse sein Vertrauen haben - und er (von einer sie ist auch diesmal wieder nicht die Rede) müsse die "Grundpfeiler unserer liberalen Demokratie" respektieren: "Rechtsstaat, Gewaltenteilung, Menschen- und Minderheitenrechte, unabhängige Medien und die EU-Mitgliedschaft."

Auch das wird im Zweifel gegen einen Kandidaten Kickl verwendet werden.

Wolfgang Vichtl, ARD Wien, tagesschau, 30.09.2024 06:01 Uhr