Dick Schoof
analyse

Vereidigung in den Niederlanden Was die neue Rechts-Regierung für Europa bedeutet

Stand: 02.07.2024 11:30 Uhr

Sieben Monate nach der Parlamentswahl geht heute die neue rechte Regierung in Den Haag an die Arbeit - und auf Distanz zu Brüssel. Das könnte den Zusammenhalt in der EU gefährden.

Mark Rutte hat seinen Landsleuten zum Abschied ins Gewissen geredet. Der scheidende niederländische Premier betonte in einer letzten Fernsehansprache vor zwei Tagen mehrmals, wie wichtig die Einbettung seines Landes in EU und NATO sei. Ein Blick auf die Weltkarte mache das deutlich, sagte Rutte: "Zusammen sind wir stärker als allein."

Aber die neue Rechts-Regierung, die König Willem-Alexander in Den Haag vereidigt hat, steht für einen völlig anderen Kurs. Die Koalition aus der radikal rechten Partei des Populisten Geert Wilders mit drei anderen rechten oder rechtsliberalen Kräften geht zu wichtigen EU-Vorhaben auf Distanz.

Raus aus dem EU-Asylpakt

So hat die EU in der Migrationspolitik nach jahrelangem, quälendem Streit vor einigen Monaten einen Asylpakt beschlossen. Der sieht vor, Asylverfahren an die EU-Außengrenzen zu verlagern und Migranten unter den Mitgliedstaaten zu verteilen. Die EU-Länder haben zwei Jahre lang Zeit, ihre Behörden darauf einzustellen.

Aber die niederländische Rechts-Koalition sträubt sich: Sie verspricht die strengste Asylpolitik, die es jemals gab und will Zuwanderung drastisch einschränken. Dafür ist die neue Asyl-Ministerin Marjolein Faber von der Wilders-Partei PVV zuständig, die gerade erst auf Abstand zur Verschwörungserzählung einer angeblichen "Umvolkung" ging.

Die Regierung in Den Haag möchte bei der EU-Kommission beantragen, aus der europäischen Asyl- und Migrationspolitik auszusteigen. Ob das rechtlich möglich ist, ist umstritten. Nach Ansicht der Kommission muss die neue Regelung angewendet werden.

Umweltvorgaben sollen gelockert werden

Auch zu Europas Kampf gegen den Klimawandel wollen die Niederlande nicht mehr wie bisher beitragen. Die entsprechenden Gesetze hat die EU im Rahmen des "Green Deal" auf den Weg gebracht.

Die Niederlande haben zwar als weltweit zweitgrößter Agrar-Exporteur nach den USA selbst massive Umweltprobleme. Aber Landwirte protestierten teils gewaltsam gegen Vorgaben. Eine der vier Koalitionsparteien, die rechtspopulistische Bauern-Bürger-Bewegung (BBB), ist durch den Widerstand gegen Umweltauflagen groß geworden.

Die neue Regierung will diese weiter lockern, Subventionen für nachhaltige Energien streichen, mehr Strom aus Atomkraftwerken beziehen und die Erdgasförderung auf See ausbauen. Und trotzdem irgendwie an den Klimazielen festhalten.

Noch Partner für Berlin?

Für Deutschland sind die Niederlande besonders bedeutsam - die fünftgrößte EU-Volkswirtschaft ist Deutschlands wichtigster Handelspartner innerhalb der Union. Außerdem stehen sich Berlin und Den Haag traditionell in der Finanzpolitik nahe. Beide Regierungen treten nachdrücklich für Schuldenabbau und sparsame Haushaltsführung ein.

Diese Beziehung wurde noch wichtiger nach dem Brexit mit Jahr 2020, als mit den Briten der Dritte in diesem Bunde abhanden kam. Wie sich die neue niederländische Regierung in der Finanzpolitik aufstellt, ist ungewiss. Sicher ist nur, dass sie weniger in den EU-Haushalt einzahlen will.

Wer sitzt am Gipfeltisch?

Rutte war nach 14 Jahren Amtszeit im eigenen Land nicht mehr sonderlich beliebt. In den Niederlanden nahmen viele "Teflon-Mark" übel, dass Skandale an ihm einfach abperlten: der herzlose Umgang mit Bürgern in Groningen, die wegen der Gasförderung Erdbeben aushalten mussten, oder die Affäre um Kinderbetreuungsgeld, das der Staat zu Unrecht von Tausenden Familien zurückverlangte.

Aber am EU-Gipfeltisch galt Rutte als verlässlicher Streiter im Dienst der europäischen Sache, etwa wenn es um Unterstützung für die Ukraine oder gegen Rechtsstaatsverächter in der EU ging.

Ruttes Nachfolger Dick Schoof, ein ehemaliger Spitzenbeamter, ist sogar in seiner Heimat ein unbeschriebenes Blatt. Ob er in Brüssel eigenständig wirkt oder eher als Marionette an den Fäden von Geert Wilders, muss sich zeigen.

Weniger Zusammenhalt?

Mit ihrer neuen Regierung stellen sich die Niederlande, immerhin Gründungsmitglied der Europäischen Union, deutlich EU-kritischer auf. Zwar verlangt Wahlsieger Wilders nicht länger den Austritt seines Landes. Aber er fordert Ausnahmeregelungen und ermutigt damit andere Mitgliedstaaten zu ähnlichen Vorstößen.

Für den europäischen Zusammenhalt sind das wenig erfreuliche Aussichten. Der ist ohnehin herausgefordert durch die gerade beginnende EU-Ratspräsidentschaft der Ungarn, denen in Brüssel nicht alle abnehmen, dass sie als "ehrliche Makler" auftreten werden.

In Frankreich könnte nach der Parlamentswahl eine rechtsnationale Regierung ans Ruder kommen. Und in den USA sind nach dem jüngsten TV-Duell die Chancen von Herausforderer Donald Trump auf einen Wahlsieg gestiegen. Nicht nur mit Blick auf die Niederlande steht die EU in den kommenden Wochen und Monaten vor großen Herausforderungen.

Jakob Mayr, ARD Brüssel, tagesschau, 01.07.2024 17:50 Uhr