Nachwahlen in England Symbolträchtige Niederlage für die Tories?
Bei Nachwahlen in drei britischen Wahlbezirken drohen den Kandidaten der regierenden Tories Niederlagen. Für Premier Sunak wäre das ein schwerer Schlag. Aber kann Labour als größte Oppositionspartei davon profitieren?
Der Wahlkreis Somerton and Frome ist ziemlich typisch für England. Der Bezirk im Südwesten Großbritanniens zeichnet sich aus durch mittelständische Betriebe und Landwirtschaft. Es ist eine ausgesprochen konservative Ecke des Landes. Bei den Wahlen haben in den vergangenen Jahrzehnten immer die Tories gewonnen, oder die Liberaldemokraten.
Da jedoch der Abgeordnete der Konservativen Partei, David Warburton, wegen Vorwürfen der sexuellen Belästigung und wegen Drogenkonsums zurücktreten musste, findet in diesem Bezirk die Nachwahl statt.
In Uxbridge and South Ruslip bei London wiederum trat Boris Johnson als Abgeordneter zurück, weil ein Parlamentsausschuss zu dem Ergebnis gekommen war, dass der ehemalige Premier das Unterhaus getäuscht hatte.
Und im Wahlkreis Selby and Ainsty in North Yorkshire war der konservative Abgeordnete Nigel Adams zurückgetreten, weil er gehofft hatte, ins Oberhaus einziehen zu können. Boris Johnson hatte ihn dann nach seinem Rücktritt aber nicht für das House of Lords vorgeschlagen. Adams hatte zuvor schon angekündigt, 2024 nicht mehr zu kandidieren. Er galt als Unterstützer von Johnson.
Wirtschaft, NHS, Kompetenz
Im Wahlkreis Somerton und Frome sind mittlerweile viele enttäuscht von den Tories: "Wie schlimm es auch wird, es wäre halt schön zu wissen, dass die Politiker sich moralisch einwandfrei benehmen", sagte eine Frau dem Sender BBC.
Moral und Politik nach Boris Johnson - das ist aber nur ein Thema der Nachwahlen in den insgesamt drei Wahlbezirken. Es geht auch um die hohe Inflation, das Wirtschaftswachstum, die langen Wartezeiten im Gesundheitsdienst NHS und die Frage, wie viel die Wählerinnen und Wähler den regierenden Konservativen eigentlich noch zutrauen.
Stimmung bei den Tories ist mies
Viele Wählerinnen und Wähler sind verärgert, und auch die Stimmung bei den Tories ist angesichts der heutigen Nachwahlen in den drei Bezirken ziemlich mies. Viele in der Partei sind der Meinung: Es braucht schon ein Wunder, damit die Konservativen auch nur einen einzigen Sitz verteidigen können.
Premierminister Rishi Sunak ist in den Umfragen weiter abgestürzt: Nur noch 25 Prozent der Britinnen und Briten schätzen seine Arbeit, 65 Prozent sind unzufrieden, wie eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov ergeben hat.
Regierungswechsel 2024 möglich?
Doch auch für Labour-Chef Keir Starmer sieht es nicht toll aus. Seine Umfragewerte sind besser, aber angesichts des desolaten Zustands der Konservativen wäre hier noch viel Luft nach oben. Die Wahlen sind für ihn ein wichtiger Indikator, ob ein Regierungswechsel bei den Parlamentswahlen 2024 möglich ist.
Starmer verbreitet in der politischen Auseinandersetzung wenig positive Energie. Ein Konzept wie "New Labour", mit dem Tony Blair 1997 die Wahlen gewann, und das einen Neuanfang, einen Wechsel signalisierte, ist nicht erkennbar. Starmer wolle Stabilität vermitteln und klinge dabei oft wie Sunak, sagen Kritiker.
Beispiel Reform und Bezahlung im Gesundheitsdienst: Gerade erst haben die Ärzte angekündigt, für höhere Löhne zu streiken. Wer solle das bezahlen, wird Starmer gefragt, und der antwortet: "Wenn wir an der Regierung wären, würde ich mich absolut darauf fokussieren, dass die Wirtschaft wächst."
Ähnlich würde Premierminister Sunak antworten. Ebenso wie die Konservativen will Starmer eine solide Finanzpolitik umsetzen und vergrault damit Teile seiner Partei.
Unterschied zwischen Tories und Labour kaum erkennbar
Und auch in vielen anderen Bereichen klingt Starmer den Konservativen zum Verwechseln ähnlich: Der Brexit wird nicht infrage gestellt, obwohl jüngste Umfragen zeigen, dass 55 Prozent der Britinnen und Briten für einen Wiedereintritt in die EU stimmen würden. Starmer meidet diese Debatte, will nicht der sein, der vielen Briten sagt, dass sie beim Referendum 2016 falsch abgestimmt haben.
Doch auch Labour würde sich nach einem Erfolg bei den Parlamentswahlen mit den Problemen herumschlagen müssen, die der Brexit verursacht: gedämpftes Wachstum, überhöhte Versprechungen der Brexit-Befürworter etwa in der Asylpolitik.
Es bleibt die Moral: An dieser Stelle ist für viele der Unterschied zwischen Labour und den von Lügen und Skandalen geprägten Tories kaum erkennbar. Ein Neuanfang, ein Neustart, so die Sicht vieler Wählerinnen und Wähler, sieht anders aus.