Vermittlung in Wagner-Revolte "Lukaschenko riskiert einiges"
Vermittler in der Wagner-Revolte - gibt das Belarus' Präsident Lukaschenko mehr Bewegungsfreiheit gegenüber Putin? Der Osteuropa-Experte Fabian Burkhardt sagt: Lukaschenko gewinnt Spielraum - wird aber auch Teil eines innerrussischen Konflikts.
tagesschau.de: Lukaschenko gilt seit Jahren als abhängig von Putin. Und nun soll ausgerechnet er in der Revolte der Wagner-Gruppe vermittelt haben, wenn man ihm Glauben schenkt. Wie kam es nach Ihrer Einschätzung dazu, dass er diese Rolle eingenommen hat?
Fabian Burkhardt: Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass es hier ein pro-aktives Handeln seitens Lukaschenko gegeben hat. Ich sehe Lukaschenko hier in einer Art technischer Vermittlerrolle, als eine Art Handlanger, der zu einem Zeitpunkt ins Spiel kam, als sich der Konflikt zwischen dem Verteidigungsministerium, der russischen Armee, der Wagner-Gruppe und Putin bis zum Extrem zugespitzt hat. Da hat sich Lukaschenko vermutlich angeboten, um Putins Regime einen Dienst zu erweisen.
Offenbar sind am Samstag in Russland erst verschiedene Möglichkeiten und Lösungswege gesucht worden, und dann hat sich mit Lukaschenko beziehungsweise Belarus eine Möglichkeit ergeben, um eine blutige bewaffnete Auseinandersetzung etwa in den Vororten von Moskau zu verhindern. Diese Prämisse scheint Putin vorgegeben zu haben - sonst hätte Wagner nicht so weit vorrücken können.
Putin musste eine Lösung für Prigoschin, aber auch für die Wagner-Kommandeure und -Söldner finden, die nicht bereit waren, einen Vertrag mit dem Verteidigungsministerium abzuschließen. Eine "Exit-Möglichkeit" war die Lösung, die kurzfristig am wenigsten Reibungsverlust mit sich brachte. Da konnte Lukaschenko eine Basis außerhalb von Russland bieten. Die Hauptvermittler, die diese Strategie ausgearbeitet haben, saßen aber in Russland.
"Das verändert einiges"
tagesschau.de: Was bedeutet es für Lukaschenko, Teil dieser Vermittlungslösung gewesen zu sein? Stärkt das seine Position gegenüber der russischen Führung?
Burkhardt: Das verändert einiges. Es ist das erste Mal, dass Lukaschenko direkt in einem komplexen innenpolitischen Konflikt in Russland verwickelt ist. Bisher waren Lukaschenko und Belarus Teil von außenpolitischen Auseinandersetzungen zwischen Russland und dem Westen als Staat, der zwischen der EU und Russland liegt. Über viele Jahre hatte Lukaschenko immer wieder in einer Schaukelpolitik versucht, die EU und Russland gegeneinander auszuspielen. Durch diese Lösung ist er Teil eines Konflikts geworden, der vielleicht für den Moment zumindest ansatzweise eingefroren ist, wo aber noch nicht klar ist, wie lange dieser Deal hält.
Zwar heißt es, dass das Strafverfahren wegen bewaffnetem Aufstand nicht mehr vollzogen wird. Aber Putin hat auch gesagt, dass Wagner durch Staatsaufträge vom russischen Staat profitiert habe. Das könnte bedeuten, dass Strafverfahren wegen Wirtschaftskriminalität, also wegen Veruntreuung von staatlichen Geldern, eröffnet werden. Wenn es dazu kommt, wenn es Repressionen gegen Teile der russischen Eliten - wie etwa den General Sergej Surowikin - gibt, die mit Wagner sympathisiert oder ihn unterstützt haben, wird Belarus Teil dieses innenpolitischen Konflikts.
"Keine reine Abhängigkeitsbeziehung"
tagesschau.de: Sehen Sie einen Vorteil, den Lukaschenko für sich heraushandeln kann?
Burkhardt: Die Beziehung zwischen Lukaschenko und Putin ist keine reine Abhängigkeitsbeziehung, sie ist komplizierter. Lukaschenko hat immer wieder auch Hilfsleistungen anbieten können - gegenüber der EU, im Krieg gegen die Ukraine und dann auch Vorteile für sich ausgehandelt.
Der Dienst, den Lukaschenko nun Putin erwiesen hat, ist dafür charakteristisch. Üblicherweise folgt darauf eine Belohnung. Es könnte sein, dass Gas verbilligt geliefert wird, es könnten vergünstigte oder bislang verweigerte Waffenlieferungen sein oder andere Formen von Subventionen.
"Lukaschenko ist ein schwieriger Verhandlungspartner"
tagesschau.de: Schützt ihn das auch vor dem Bestreben Russlands, Belarus noch enger an sich zu binden?
Burkhardt: Die Beziehung zwischen Putin und Lukaschenko war immer auch unterschwellig feindlich. Lukaschenko muss immer befürchten, dass er dem Putin-Regime nicht mehr nützlich ist. Er muss sich gegen möglicherweise feindliche Gruppen in Russland absichern, die ihn absetzen könnten, um eine loyalere Person einzusetzen, die Russland weniger Probleme bereitet.
Lukaschenko ist ein schwieriger, hartnäckiger Verhandlungspartner, der an einem Tag sagt, er wolle mit der Vertiefung des Unionstaats zwischen Belarus und Russland voranschreiten, um sich dann kurz darauf wieder querzustellen und das Vereinbarte in die Länge zu ziehen. Es ist immer ein Katz-und-Maus-Spiel. Man darf vermuten, dass Lukaschenko diese Gefälligkeit als Verhandlungsmasse nutzen wird, um für sich so viele Vorteile wie möglich herauszuholen.
tagesschau.de: Geht er dabei nicht auch ein Risiko ein?
Burkhardt: Innenpolitisch ist das eine große Gefahr für Lukaschenko, weil die Wagner-Truppe hoch bewaffnet ist und es unklar ist, mit wie viel Waffen und Gerät sie nach Belarus kommen werden. Sie haben Kampferfahrung, und unter ihnen sind viele ehemalige Häftlinge. Hier kommt also möglicherweise eine große Zahl kampferfahrener, extrem krimineller Söldner nach Belarus - Lukaschenko wird erhebliche Ressourcen aufwenden müssen, um das zu kontrollieren und das Gewaltmonopol nicht zu verlieren.
Unklar ist auch, wie lange Wagner in Belarus bleiben will, ob sie in ein anderes Land weiterziehen oder in Belarus versuchen werden, sich in irgendeiner Form zu legalisieren, um das Land als Basis für weitere Kampfaktionen zu nutzen. Auf jeden Fall zieht es Belarus noch weiter in den Krieg gegen die Ukraine hinein.
"Sorgen der Nachbarländer absolut begründet"
tagesschau.de: Polen warnt, Wagner in Belarus bedeute auch eine Gefahr für die Nachbarstaaten. Ist das begründet - müssen sich diese zusätzliche Sorgen machen?
Burkhardt: Das ist absolut begründet. Wagner hat seine Truppen in den vergangenen Monaten vor allem im Kampf um Bachmut mit sehr hohen Verlusten eingesetzt, um für sich innenpolitisches Kapital herauszuschlagen. Nun kommt ein Teil von ihnen nach Belarus.
Hinzu kommt, dass Lukaschenko Migration auch als politische Waffe gegen seine Nachbarn einsetzt. Wir erinnern uns an die Migrationskrise mit Polen, als geflüchtete oder zwangsdeportierte Menschen an der Grenze bewusst als Waffe eingesetzt wurden. Das ist durchaus wieder denkbar.
Hier wird es von der Beziehung von Lukaschenko und Prigoschin abhängen und davon, inwieweit Wagner in Aktivitäten des belarusischen Regimes eingebunden wird. Es wäre ein Szenario denkbar, in dem Lukaschenko Wagner in irgendeiner Form von hybrider Kampfführung einsetzt. Deshalb ist es sinnvoll, wenn die Nachbarstaaten den Grenzschutz noch mal deutlich hochfahren.
Putins Entscheidungen könnten "enorme Probleme bereiten"
tagesschau.de: Gleichzeitig kann sich die Wagner-Truppe nicht darauf verlassen, dass Belarus für sie ein sicherer Hafen ist?
Burkhardt: Für Putin und für Russland geht es jetzt darum, einerseits die Wagner-Söldner, die nicht bereit sind, einen Vertrag mit dem Verteidigungsministerium zu unterschreiben, aus Russland zu vertreiben. Und bei denjenigen, die einen Vertrag mit der russischen Armee abschließen, wird es große Probleme geben, sie zu integrieren.
Auch ist unklar, wie Putin jetzt weiter vorgeht. Wird er Repressionen gegen hohe Generäle in der russischen Armee ausüben, um diese für gewisse Illoyalitäten zu bestrafen? Wenn es hier zu Strafverfahren kommt, wäre es denkbar, dass Russland wegen der Bestimmungen des gemeinsamen Unionsstaates Forderungen gegenüber Belarus geltend macht hinsichtlich gewisser Wagner-Kommandeure. Auch ist es möglich, dass trotz des Deals und der Sicherheitsgarantien russische Geheimdienste versuchen werden, Prigoschin oder andere Wagner-Kommandeure auf belarusischem Staatsgebiet zu liquidieren. Belarus würde dann zum Spielball von weiteren Dynamiken. Und das könnte dann wieder Lukaschenko enorme Probleme bereiten.
tagesschau.de: Die Lösung des einen Konflikts, nämlich der Revolte am Wochenende, kann auf vielfältige Weise weitere Instabilitäten nach sich ziehen?
Burkhardt: Lukaschenko riskiert einiges. Den Dienst, den er am Wochenende erwiesen hat, kann er als Verhandlungsmasse nutzen. Zumal die vergangenen Tage gezeigt haben, dass die militärischen Ressourcen von Russland begrenzt sind und das Szenario, dass Russland Soldaten nach Belarus schickt und das Land annektiert, heute unwahrscheinlicher ist. Andererseits riskiert er, in dem Konflikt in Russland zum Spielball zu werden. Das ist nicht nur eine große Gefahr für die belarusische Souveränität, die ohnehin schon erheblich untergraben ist, sondern mittelfristig auch für seine Herrschaft.
Das Gespräch führte Eckart Aretz, tagesschau.de