Türkei Entscheiden die Kurden die Wahl?
Rund 20 Prozent der Menschen in der Türkei haben kurdische Wurzeln. Regierung und Opposition buhlen um ihre Stimmen - denn sie könnten die Wahlen entscheiden. Erdogan verliert bei ihnen seit Jahren an Unterstützung.
Die kurdische Minderheit in der Türkei wird seit Gründung der Republik stiefmütterlich behandelt. Oft wird ihnen pauschal Nähe zur kurdischen Terrororganisation PKK unterstellt. Immer wieder werden Kurden angefeindet, wenn sie ihre eigene Sprache sprechen. Regelmäßig kommt es zu Angriffen auf sie.
Die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan schüre diese Stimmung noch, wirft ihr der Präsidentschaftskandidat der Opposition, Kemal Kilicdaroglu von der Partei CHP, in einem Internetvideo vor: "Immer wenn Erdogan erkennt, dass er die Wahlen verlieren könnte, brandmarkt er die Kurden und behandelt sie wie Terroristen. Das ist wirklich beschämend. Jeden Tag werden Millionen Kurden wie Terroristen behandelt - und es hört nicht auf!"
Erdogan sieht sich als "wahren Freund der Kurden"
Der so angegangene Erdogan hält dagegen. Im Fernsehen schimpft er: "Die CHP kümmert sich doch in Wahrheit gar nicht um meine kurdischen Bürger, meine kurdischen Brüder und Schwestern! Das sind alles Lügen!" Der wahre Freund der Kurden sei er, so Erdogan.
Doch der Versuch, seine Stammwählerschaft und die kurdische Wählerschaft gleichermaßen zu erreichen, ist ein schwieriger politischer Spagat. Erdogan versucht es so: "Wir sind genauso kurdisch wie sie kurdisch sind. Wir, Türken und Kurden, sind die Stützen dieses Landes."
Rund 20 Prozent der Menschen in der Türkei haben kurdische Wurzeln. Jahrelang bemühte sich Erdogan um eine Aussöhnung mit ihnen. Etliche wählten daraufhin seine Partei AKP. Doch 2015 beendete Erdogan den Prozess.
AKP verliert Unterstützung von Kurden
Seitdem, sagt Vahap Coskun von der Dicle-Universität in Diyarbakir, sind viele Kurdinnen und Kurden nicht mehr gut auf Erdogan zu sprechen. Spätestens bei den Kommunalwahlen 2019 sei das deutlich geworden.
"Mit der Unterstützung kurdischer Wähler hat die AKP bei Wahlen große Erfolge erzielt. Bei den Kommunalwahlen 2019 etwa hatte sie die Unterstützung der Kurden aber nicht mehr. In der Folge hat die AKP die Großstädte verloren", erläutert Coskun.
Besonders viel Verärgerung seit dem Erdbeben
Seit dem Erdbeben Anfang Februar sind noch mehr Menschen in den kurdischen Landesteilen verärgert über Erdogan und seine AKP. Sie kreiden ihm an, dass Bauvorschriften nicht eingehalten wurden - und dass er in der Vergangenheit dafür gesorgt hat, dass Baubetrüger so gut wie straflos davonkamen.
Doch schon vor dem Erdbeben verliert Erdogan bei der kurdischen Minderheit wegen der Wirtschaftskrise immer mehr an Rückhalt. Das werde sich im Wahlergebnis niederschlagen, glaubt die linke kurdische Politikerin Menekse Kizildere.
"Arme werden ärmer, und die meisten in den Kurdengebieten sind arme Leute, und sie sind hart getroffen. Daher denke ich, das entscheidet über den Wechsel", sagt sie. Ihrer Ansicht nach leiden Kurdinnen und Kurden besonders unter der Politik Erdogans.
"Umbruch wahrscheinlich"
Allein schon dass ihre Sprache nicht anerkannt sei, schaffe viele Probleme: "Die meisten Kurden sprechen nicht Türkisch, vor allem Frauen nicht. Wenn sie ins Krankenhaus müssen oder zu Behörden gehen, brauchen sie Übersetzer."
Zusammengenommen mache all das einen politischen Umbruch in der Türkei wahrscheinlich, so Analyst Coskun. Erdogans Partei werde ihr schwieriges Verhältnis zu den Kurden politisch auf die Füße fallen.
"Seit 2019 hat die AKP keine Schritte unternommen, um die Beziehungen zu den Kurden zu verbessern." Und daher sei es bei dieser Wahl zum ersten Mal sehr wahrscheinlich, meint Coskun, dass die AKP - die Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung - die Wahlen verlieren werde.