Krawalle in Frankreich Wieder Plünderungen und brennende Autos
Nach dem Tod eines 17-Jährigen durch den Schuss eines Polizisten ist es auch in der vierten Nacht in mehreren Städten Frankreichs zu Ausschreitungen gekommen. Am Rande der Proteste ist ein Mann gestorben.
Nach mehreren Nächten mit Ausschreitungen versucht die Regierung in Frankreich, mit immer schärferen Mitteln die Lage wieder in den Griff zu bekommen. Um nach dem tödlichen Schuss auf einen 17-Jährigen erneute gewaltsame Proteste zu unterbinden, mobilisierte sie für die Nacht zum Samstag 45.000 Polizisten und Gendarmen. Zudem wurde am Abend landesweit der Verkehr von Bussen und Straßenbahnen eingestellt.
Dennoch kam es erneut zu Ausschreitungen. In den Städten Lyon, Marseille und Grenoble plünderten herumziehende Gruppen am Abend Geschäfte. Demonstranten setzten auch erneut Autos und Mülltonnen in Brand. In Straßburg griffen Randalierer bereits vor Einbruch der Dunkelheit mehrere Geschäfte an. In einem Einkaufszentrum im Großraum Paris wurden die Schaufenster eines Fast-Food-Restaurants zertrümmert. Beamte hielten Personen davon ab, in einen demolierten Laden in dem Shoppingcenter einzubrechen.
Bei den Ausschreitungen seien 79 Polizisten verletzt worden, teilte das Innenministerium am Morgen über Twitter mit. Landesweit gab es demnach 994 Festnahmen.
Waffengeschäft geplündert
Im Zentrum von Marseille haben Randalierer ein Waffengeschäft geplündert. Sie hätten zwar einige Jagdgewehre mitgenommen, Munition sei jedoch nicht entwendet worden, teilte die Polizei in Marseille mit. Eine Person sei mit einem Gewehr festgenommen worden, das wahrscheinlich aus dem dem Waffengeschäft stamme. Das Geschäft werde nun von der Polizei bewacht.
Der Bürgermeister von Marseille forderte die französische Regierung auf, unverzüglich weitere Ordnungskräfte nach Marseille zu schicken. "Die Szenen von Plünderungen und Gewalt sind inakzeptabel", schrieb er bei Twitter. Bilder in den sozialen Medien zeigten eine Explosion im alten Hafen von Marseille. Nach Auskunft der Behörden ist die Ursache noch ungeklärt. Es habe keine Verletzten gegeben.
Auch aus Lyon wurden erneut Unruhen gemeldet. In den Vororten seien Brände gelegt und Polizisten mit Gegenständen beworfen worden. Im Stadtzentrum hätten Beamte 31 Personen festgenommen, um versuchte Plünderungen von Geschäften zu stoppen. Zuvor waren rund 1300 Menschen am Freitagabend zu einer nicht genehmigten Demonstration gegen Polizeigewalt zusammengekommen.
Gepanzerte Fahrzeuge der Gendarmerie
Präsident Emmanuel Macron hatte zuvor auf einer Krisensitzung eine "inakzeptable Instrumentalisierung des Todes eines Jugendlichen" angeprangert. Rund ein Drittel der Festgenommenen sei "jung, manchmal sehr jung". Macron appellierte an die Eltern, dafür zu sorgen, dass sich ihre Kinder nicht an den gewaltsamen Protesten beteiligten.
Der Präsident forderte zudem Onlinenetzwerke wie Snapchat oder Tiktok zu einem "verantwortungsbewussten Umgang" mit den Protesten auf. Auf diesen Plattformen würden "gewalttätige Versammlungen" organisiert.
Die Gendarmerie setzte in der Nacht zum Samstag gepanzerte Fahrzeuge ein, um die Lage in den Griff zu bekommen. In ganz Frankreich wurden Großveranstaltungen abgesagt. Auf Anweisung des Innenministeriums wurde zudem ab 21 Uhr landesweit der Verkehr von Bussen und Straßenbahnen eingestellt. Auch der Verkauf von Feuerwerkskörpern, Benzinkanistern sowie entzündlichen und chemischen Produkten sollte systematisch unterbunden werden. Mindestens drei Gemeinden in der Nähe von Paris sowie mehrere andere Orte verhängten nächtliche Ausgangssperren.
Junger Mann bei Sturz von Dach gestorben
Die französische Nationalmannschaft rief dazu auf, die Gewalt zu beenden und stattdessen Raum für "Trauer, Dialog und Wiederaufbau" zu geben. Es müssten sich "friedlichere und konstruktivere Wege" finden lassen, "sich zu äußern", hieß es in der von Kapitän Kylian Mbappé bei verschiedenen Social-Media-Plattformen veröffentlichten Erklärung.
In der Nacht zum Freitag hatten die Sicherheitskräfte während der Ausschreitungen rund 900 Menschen festgenommen. Trotz des massiven Polizei-Aufgebots wurden demnach 492 Gebäude angegriffen, rund 2000 Fahrzeuge in Brand gesteckt und dutzende Geschäfte geplündert.
Am Rande der Proteste in der Nacht zum Freitag starb ein junger Mann nach einem Sturz von einem Dach. Laut Polizei und Staatsanwaltschaft ereignete sich der Vorfall im nordfranzösischen Petit-Quevilly nahe der Stadt Rouen. Über die genauen Umstände gab es allerdings unterschiedliche Angaben. Vertreter von Polizei und Präfektur teilten zunächst mit, zu dem Unfall sei es "im Rahmen einer Plünderung" eines Supermarktes gekommen. Später hieß es jedoch, die Ermittlungen zu den Umständen dauerten an.
Ausschreitungen auch in der Karibik
Auch in französischen Überseegebieten in der Karibik ist es zu Ausschreitungen gekommen. Die bislang folgenschwerste Gewalt meldeten Behörden aus Französisch-Guyana. Dort seien Beamte am späten Donnerstagabend in der Hauptstadt Cayenne unter Beschuss geraten. Ein Querschläger habe einen 54 Jahre alten Staatsbediensteten getroffen, der sich gerade auf seinem Balkon aufhielt. Er sei gestorben.
Der für öffentliche Sicherheit zuständige Funktionär Philippe Jos sprach vor Reportern von einem Ausmaß der Gewalt, das schwer zu verstehen sei. Unbekannte steckten in Cayenne Mülleimer in Brand und beschädigten Gebäude. Dichter Rauch stieg aus einigen Vierteln auf, während die Polizei die Krawalle einzudämmen versuchte. Mindestens sechs Personen wurden festgenommen, darunter fünf Minderjährige. Die Behörden riefen zur Ruhe auf, rüsteten sich zugleich aber für eine mögliche weitere Nacht der Gewalt.
Der Präfekt von Französisch-Guyana, Thierry Queffelec, kündigte an, dass Geschäfte und der öffentliche Nahverkehr ihren Betrieb am Freitagabend früher schließen würden. Vorübergehend gelte nachts zudem ein Verkaufs- und Transportverbot für Benzin. In der Nacht zum Samstag würden 300 zusätzliche Polizisten mobilisiert, auch Drohnen und Helikopter würden zum Einsatz kommen, sagte Queffelec. Kleinere Proteste wurden auch aus Martinique und Guadeloupe gemeldet, jedoch keine Verletzten oder Tote.
Aktualisierte Sicherheitshinweise für Reisende
Ausgelöst worden waren die Proteste und Ausschreitungen durch den Tod des 17-jährigen Nahel M. Der Jugendliche war am Dienstag bei einer Verkehrskontrolle in der Pariser Vorstadt Nanterre durch den Schuss aus der Waffe eines Polizisten ums Leben gekommen. Er soll nach Angaben des Bürgermeisters von Nanterre, Patrick Jarry, am Samstag beerdigt werden.
Gegen den mutmaßlichen Schützen wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, er kam in Untersuchungshaft. Ihm wird laut Staatsanwaltschaft "vorsätzliche Tötung" vorgeworfen. Der Einsatz der Waffe bei der Kontrolle war nicht gerechtfertigt, hieß es von der Staatsanwaltschaft. Nach Angaben seines Anwalts Laurent-Franck Liénard bat der in Untersuchungshaft befindliche Beamte die Familie des Opfers um Verzeihung.
Deutschland, Großbritannien und die USA riefen Bürger mit Reiseplänen in Frankreich wegen der Unruhen zur Vorsicht auf und aktualisierten ihre Sicherheitshinweise.