Ausschreitungen in Frankreich "Das ist durch nichts zu rechtfertigen"
Frankreichs Präsident Macron hat nach den Ausschreitungen der vergangenen Nacht zur Ruhe aufgerufen und die Gewalt verurteilt. In der kommenden Nacht sollen landesweit Zehntausende Polizisten eingesetzt werden.
Feuer und Explosionsgefahr in einer Elektrizitätszentrale in Nanterre, ein angegriffenes Polizeikommissariat in Trappes, eine völlig ausgebrannte Straßenbahn in Clamart, mit Pumpguns abgeschossene Videokameras, ein brennender Kindergarten, Feuer in Rathäusern, angezündete Mülltonnen im Pariser Umland - dort waren die Ausschreitungen in der vergangenen Nacht besonders gewalttätig. Es wurde "Gerechtigkeit für Nahel" gerufen und: "Die Polizei tötet." Diese nahm Dutzende Personen fest.
Die Wut über den tödlichen Polizeieinsatz gegen den 17-jährigen Nahel brach sich in ganz Frankreich Bahn. Lille, Roubaix, Amiens, Dijon, Nice oder Toulouse - mehr als 20 Städte in ganz Frankreich waren betroffen. Polizeiautos, Rathäuser und Sozialzentren wurden zum Teil schwer verwüstet. In Villeurbanne bei Lyon mussten 35 Menschen in Sicherheit gebracht werden, nachdem ihr Wohnhaus durch Feuerwerkskörper in Brand geraten war. Insgesamt waren 2000 Beamte mobilisiert worden. 150 Menschen wurden festgenommen.
Macron ruft zu Ruhe und Andacht auf
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron begab sich am Morgen vom Elysée-Palast ein paar Meter weiter ins Innenministerium und eröffnete dort einen Krisenstab. "Ruhe und Andacht sollten die nächsten Stunden und den Gedenkmarsch in Weiß bestimmen", mahnte er. Die Mutter des getöteten 17-Jährigen hat zu einem Gedenkmarsch in Weiß aufgerufen. Er solle auch ein Zeichen des Aufbegehrens sein.
Es gebe aber offensichtlich den Versuch, die Ereignisse zu vereinnahmen, warnte Macron. Die vergangenen Stunden seien geprägt gewesen "von Szenen der Gewalt gegen Kommissariate, aber auch gegen Schulen und Rathäuser, also gegen Institutionen und die Republik". Macron kritisierte: "Das ist durch nichts zu rechtfertigen."
Polizeipräsenz soll massiv verschärft werden
Der französische Innenminister Gérald Darmanin kündigte eine "entschlossene" Reaktion des Staates auf die Ausschreitungen an. Landesweit würden die Sicherheitsvorkehrungen massiv verstärkt.
In der kommenden Nacht sollen demnach in ganz Frankreich 40.000 Polizeibeamte eingesetzt werden - mehr als vier Mal so viele wie in der vergangenen Nacht. Allein 5000 Polizisten sollen im Großraum Paris im Dienst sein. In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag waren es in und rund um Paris 2000 Polizistinnen und Polizisten gewesen, landesweit waren es der Nachrichtenagentur Reuters zufolge etwa 9000 Einsatzkräfte. Laut Darmanin wurden mindestens 170 der Polizeikräfte verletzt, jedoch niemand lebensbedrohlich.
Ermittlungen wegen Totschlags
Gegen den Polizisten, der den tödlichen Schuss auf den 17-Jährigen abgegeben haben soll, wurde ein förmliches Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Totschlag eingeleitet, wie die Staatsanwaltschaft in Nanterre mitteilte. Der Beschuldigte befinde sich in Untersuchungshaft.
Staatsanwalt Pascal Prache erklärte, die Autopsie habe als Todesursache "einen einzigen Schuss bestätigt" - durch den linken Arm in den Brustkorb. Bei der Durchsuchung des Autos seien keine gefährlichen Objekte oder Drogen gefunden worden.
Der Tathergang habe sich auf Basis von Aufnahmen von Überwachungskameras, Amateurvideos und Zeugenaussagen rekonstruieren lassen. Derzeit gingen die Ermittler davon aus, dass die rechtlichen Voraussetzungen für den Gebrauch der Schusswaffe nicht gegeben gewesen seien. Der 38-jährige Polizist hatte angegeben, er habe sich in Gefahr befunden, auch durch das Anfahren des Autos des 17-Jährigen.
Schon am Mittwoch hatte Premierministerin Élisabeth Borne sich deshalb, ohne die Ermittlungen abzuwarten, recht eindeutig geäußert: "Die schockierenden Bilder zeigen einen Einsatz, der offensichtlich nicht regelkonform für unsere Ordnungskräfte zu sein scheint."
Öffentliche Bestürzung über Tod des 17-Jährigen
Nahel war Pizzalieferant, laut Anwälten ohne Vorstrafen, aber durch kleinere Delikte wie Fahren ohne Führerschein aufgefallen. In einem Rugby-Club, der für die soziale Integration arbeitet, hat er Sport getrieben. Der Club "Ovale Citoyen" twitterte: "Nahel ist in Nanterre gestorben. Er hatte einen Eingliederungskurs bei uns begonnen. Er wollte sich eine neue Zukunft aufbauen. Mehr als je zuvor müssen wir uns dafür einsetzen, ein Minimum an Hoffnung zurückzugeben und wieder an die Gleichheit in der Republik zu glauben."
Auch Fußballer Kylian Mbappé oder der Schauspieler Omar Sy äußerten sich betroffen über den Tod des Jugendlichen durch Polizeigewalt. Am Mittwoch hatte die rechtsgerichtete Polizeivertretung France Police jedoch Öl ins Feuer gegossen. Sie hatte getwittert: "Ein Bravo für die Kollegen, die das Feuer eröffnet haben auf einen jungen Kriminellen von 17 Jahren. In dem sie sein Auto neutralisierten, haben sie ihr Leben und das anderer Nutzer der Straße geschützt."
Innenminister Darmanin prüft nun ein Verbot der Gruppierung und bezeichnet sie als nicht repräsentativ. Frankreich schlittert nach den Rentenprotesten in eine neue Phase sozialer Unruhe.