Maria Kolesnikowa während einer Gerichtsverhandlung (Archivbild: 04.08.2021)

Belarus Elf Jahre Haft für Kolesnikowa

Stand: 06.09.2021 15:09 Uhr

In Belarus ist die Oppositionelle Kolesnikowa zu elf Jahren Haft verurteilt worden. Die 39-Jährige war vor gut einem Jahr im Zuge der Proteste gegen Machthaber Lukaschenko festgenommen worden. Das Urteil löste auch international Entsetzen aus.

Von Mit Informationen von Stephan Laack, ARD-Studio Moskau, zurzeit Köln

Die belarusische Oppositionelle Maria Kolesnikowa ist fast ein Jahr nach ihrer Festnahme zu elf Jahren Haft verurteilt worden. Das teilte das Gericht laut belarusischen Staatsmedien in Minsk mit. Ihr ebenfalls angeklagter Anwalt Maxim Snak wurde zu zehn Jahren Haft verurteilt. Beide sollen die Haft im Straflager verbüßen, Snak in einem mit verschärften Haftbedingungen.

In der Urteilsbegründung hieß es, beide hätten einen Komplott zur verfassungswidrigen Machtergreifung vorbereitet, die nationale Sicherheit gefährdet und eine extremistische Organisation gegründet. Snak und Kolesnikowa mussten die Urteilsverkündung mit angelegten Handschellen in einem vergitterten Käfig verfolgen. Während sie einen gefassten Eindruck machten, reagierten ihre nächsten Angehörigen wie der Vater Kolesnikowas mit Bestürzung auf das Urteil:

So wie sie sich heute verhalten hat, hat mir das zumindest geholfen, nicht zu weinen und emotional zu werden. Mascha und Maxim waren überrascht, dass im Saal nur wenige Menschen waren, die sie persönlich kannten. Aber sie haben durch Gesten und durch ihre Zurufe diese Atmosphäre geschaffen - die Atmosphäre eines freundschaftlichen Treffens. Das hat mir und dem Vater von Snak sehr geholfen.

Zehn Jahre Haft für Oppositionspolitikerin Maria Kolesnikowa

Verena Lammert, ARD Moskau, tagesthemen, tagesthemen, 06.09.2021 22:30 Uhr

Berufung angekündigt

Die Anwälte der beiden Verurteilten kündigten an, Berufung einzulegen. Das Urteil sei gesetzwidrig und unbegründet, es basiere nicht auf Beweisen, erklärte Kolesnikowas Anwalt Jewgejni Pyltschenko. Im Laufe des Prozesses hätten sich die gegen sie erhobenen Anschuldigungen nicht bestätigt. Weiter sagte er:

Natürlich werden wir in Berufung gehen, wir werden sie jetzt innerhalb der vorgeschriebenen Zehn-Tage-Frist einreichen. Ich glaube, dass unsere Mandanten auch ihrerseits eine Klage einreichen werden.

Breite Kritik nach Urteil

Die Anwälte der beiden politischen Gefangenen wollen die Entscheidung vor dem Obersten Gericht in Belarus anfechten. Sie hatten in dem umstrittenen Verfahren wegen angeblicher versuchter illegaler Machtergreifung auf unschuldig plädiert. Es gebe keine Rechtsgrundlage für eine Verurteilung, teilten die Anwälte mit.

Die belarusische Opposition wies den Richterspruch als Unrechtsurteil zurück. Die beiden seien politische Gefangene und hätten lediglich versucht, ihr Land zum Besseren zu verändern.

Eine Sprecherin des Auswärtigen Amts sagte, die Verurteilten setzten sich für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte ein. Sie könnten sich der Solidarität der Bundesregierung sicher sein. Die Urteile seien ungerechtfertigt und zeigten die Instrumentalisierung der Justiz durch die Regierung.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International in Deutschland kritisierte die Haftstrafen als "willkürlich" und forderte die Freilassung der Verurteilten. "Die heutige Verurteilung soll den Millionen von Menschen, für die sie sprachen, nun endgültig die Hoffnung auf friedliche Veränderungen und Achtung der Menschenrechte nehmen", erklärte Katharina Masoud von Amnesty Deutschland.

Auch die Europäische Union äußerte sich und verurteilte die Haftstrafen scharf. Brüssel warf Minsk in einer Erklärung eine "eklatante Missachtung" der Menschenrechte vor. Die EU bekräftigte zugleich ihre Forderung nach der "unmittelbaren und bedingungslosen Freilassung aller politischer Gefangener" in Belarus, teilte der Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell, Peter Stano, mit.

Demian von Osten, ARD Moskau, zum Urteil gegen Maria Kolesnikowa

tagesthemen, tagesthemen, 06.09.2021 22:30 Uhr

Vorwurf der Verschwörung

Kolesnikowa war im Zuge der Präsidentenwahl vom 9. August vergangenen Jahres zusammen mit Swetlana Tichanowskaja und Veronika Zepkalo international bekannt geworden. Die beiden anderen Frauen sind im Ausland im Exil. Tichanowskaja meldete sich nach dem Urteil über ihren Telegram-Kanal. Sie teilte mit, dass das Regime Lukaschenko Snak und Kolesnikowa am Boden sehen wolle - das werde aber nicht gelingen. Die beiden seien in ihrem Inneren stark und frei.

Nach den Fälschungsvorwürfen gegen den belarusischen Machthaber Alexander Lukaschenko bei der Präsidentenwahl hatte sich Kolesnikowa den Massenprotesten gegen ihn angeschlossen. Mit Snak und anderen Lukaschenko-Gegnern gründete sie den Koordinierungsrat für eine friedliche Machtübergabe in Belarus. Die Behörden des autoritären Landes warfen ihr eine Verschwörung mit dem Ziel einer illegalen Machtergreifung sowie die Gründung und Führung einer extremistischen Vereinigung vor.

Die Oppositionelle sprach in einem schriftlich geführten Interview des unabhängigen russischen Internetsenders Doschd von einer "absurden Anschuldigung". Das sei ein weiteres Beispiel für die "Gesetzlosigkeit des Polizeistaates".

Anfang September 2020 vom KGB entführt

Kolesnikowa wurde Anfang September 2020 vom Geheimdienst KGB in Minsk entführt. Als sie in die Ukraine abgeschoben werden sollte, zerriss sie kurz vor dem Grenzübergang ihren Pass und vereitelte so Pläne, sie aus dem Land zu vertreiben. Kolesnikowa hatte immer wieder deutlich gemacht, den Kampf gegen Lukaschenko im Land führen zu wollen. Sie wurde festgenommen.

Nur Staatsmedien beim Prozess zugelassen

Der Prozess gegen sie begann Anfang August dieses Jahres. Zum Prozessauftakt hatten Kolesnikowa und Snak in einem vergitterten Glaskasten in einem Gericht in der Hauptstadt Minsk gesessen. Zu der Verhandlung hinter verschlossenen Türen waren nur Staatsmedien zugelassen - nicht aber Familienangehörige. Zur heutigen Urteilsverkündung waren nur sehr wenige Journalisten und die engsten Familienmitglieder zugelassen worden. EU-Diplomaten und viele Vertreter regierungskritischer Medien durften nicht teilnehmen.

Der Prozess war international kritisiert worden. Auch die Bundesregierung hatte wiederholt die Freilassung der Oppositionellen gefordert. Kolesnikowa hatte lange als Kulturmanagerin in Stuttgart gearbeitet.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 06. September 2021 um 12:00 Uhr.