Kallas auf Fahndungsliste des Kreml "Eine bekannte Einschüchterungstaktik"
Der Kreml hat Estlands Regierungschefin auf eine Fahndungsliste gesetzt. Folgen könnte das für sie aber allenfalls bei einer Reise nach Nordkorea oder Belarus haben. Kallas gibt sich gelassen - und kämpferisch.
Auf der Fahndungsliste des russischen Innenministeriums stehen Dutzende Namen von hochrangigen Politikern aus dem Baltikum. Der prominenteste: Kaja Kallas, estnische Regierungschefin seit 2021.
Dass Moskau sie im Visier hat, überrascht die Politikwissenschaftlerin Kristi Raik vom estnischen Institut für Außenpolitik nicht: "Sie ist eine der sichtbarsten und aktivsten westlichen Regierungschefinnen seit Beginn der russischen Invasion. Sie ruft zu einer gemeinsamen, starken Reaktion auf." Es gehe sowohl um Sanktionen gegen Russland als auch um die Unterstützung der Ukraine. "Kallas will auch sicherstellen, dass Russland die Verantwortung für Kriegsverbrechen trägt", meint die Politikwissenschaftlerin.
"Estland und ich bleiben standhaft"
Die Fahndungsliste scheint auch die estnische Regierungschefin wenig zu beeindrucken. In einem Statement auf einer Regierungswebsite erklärt Kallas: "Das ist eine bekannte Einschüchterungstaktik. Estland und ich bleiben standhaft in unserer Politik: die Ukraine zu unterstützen, die europäische Verteidigung zu stärken und gegen die russische Propaganda zu kämpfen."
Der Kreml wirft Kallas "feindliche Handlungen gegen die historische Erinnerung vor". Und bezieht sich damit wohl auf den Abriss von sowjetischen Kriegsdenkmälern wie dem in Narva. In der Stadt an der Grenze zu Russland hatte Estland im Sommer 2022 die Nachbildung eines sowjetischen Panzers mit rotem Stern entfernt.
Auch in Litauen wurden Kriegsdenkmäler demontiert. Das könnte der Grund sein, weshalb auch der litauische Kulturminister Simonas Kairys auf der Liste des russischen Innenministeriums steht. "Ich setze mich auf der internationalen Bühne laut und aktiv für die Ukraine ein und vertrete damit die Position vieler Länder", sagt Kairys. "Ich denke, das hat die Aufmerksamkeit auf mich gelenkt. Deshalb taucht mein Name auf dieser Liste von 100 Politikern auf."
Kallas erinnert an Familiengeschichte
Russland wolle seine Kritiker zum Schweigen bringen, schreibt Estlands Regierungschefin Kallas. Doch das werde Moskau nicht gelingen.
Schon in der Vergangenheit habe Russland seine repressiven Maßnahmen unter dem Deckmantel der Strafverfolgung verschleiert. "Das geht mir nahe. Denn meine Großmutter und Mutter wurden einst nach Sibirien deportiert, und der sowjetische Geheimdienst KGB hat die gefälschten Haftbefehle ausgestellt", erklärt Kallas. "Ich habe immer gesagt, dass sich die kriminellen Werkzeuge des russischen Regimes nicht geändert haben. Wir lassen uns nicht von Russlands Panikmache einschüchtern."
Eher symbolischer Natur
Dazu bestehe auch kein Grund, meint die estnische Politikwissenschaftlerin Raik. Denn es sei unwahrscheinlich, dass die Fahndungsliste Konsequenzen haben werde. "Kaja Kallas und andere Personen auf der Liste würden ohnehin nicht nach Russland reisen. Sie würden auch nicht in Länder reisen, die eng mit Russland alliiert sind. Ein Risiko festgenommen zu werden, besteht vielleicht in Ländern wie Belarus, Iran oder Nordkorea."
Der Schritt Russlands ist deshalb eher symbolischer Natur. Doch Kallas wird als scharfe Kritikerin im Fokus Moskaus bleiben. Als sie in dieser Woche in der estnischen Hauptstadt Tallinn ins Theater ging, wurde sie von vier Bodyguards begleitet. Sicher ist wohl sicher.