"Ibiza"-Aufklärer vor Gericht Prozess mit vielen Fragezeichen
Das "Ibiza-Video" löste in Österreich ein politisches Beben aus. Vor Gericht landete danach auch Julian Hesselthaler, der Mann hinter dem Video. Das Verfahren stößt auf scharfe Kritik. Schon heute könnte am Landesgericht St. Pölten das Urteil fallen.
Eleganter Anzug, Bürstenhaarschnitt, Handschellen: So erscheint der ehemalige Detektiv Julian Hessenthaler im Gerichtssaal in St. Pölten. Er selbst mag den Ausdruck Detektiv nicht, spricht lieber davon, im Bereich "Private Intelligence" gearbeitet zu haben. In dieser Branche entstand auch im Sommer 2017 sein bisher folgenreichstes Projekt: das so genannte "Ibiza-Video", das in Österreich ein politisches Erdbeben auslöste.
Hessenthaler präparierte eine angemietete Finca auf Ibiza mit Kameras und Mikrofonen und ließ den damaligen FPÖ-Vorsitzenden Heinz-Christian Strache in die Falle tappen. Eine russische Fake-Oligarchin entlockte ihm folgenschwere Aussagen, die ihn als durchaus offen für Korruption und andere krumme Geschäfte entlarvten. Strache trat daraufhin von allen Ämtern zurück und hat seine politische Karriere inzwischen beendet. Die Umfragen für seine die FPÖ rauschten zeitweise in den Keller, es gab vorgezogene Neuwahlen und weitreichende Korruptionsermittlungen.
Auf sichergestellten Smartphones tauchten nach und nach ein schier unendlicher Fundus an Chatnachrichten auf, die eine ganze Reihe von hochrangigen Politikern in Bedrängnis brachten und ein erschütterndes Bild des Zustands österreichischer Innenpolitik offenbarten. Als langfristige Konsequenz des Ibiza-Videos trat schließlich auch Bundeskanzler Sebastian Kurz im Oktober 2021 zurück.
Die Schwerpunkte der Ermittler
Ein politischer Super-GAU mit strafrechtlicher Relevanz - doch bisher sitzt nur eine Person im Gefängnis, die mit dem Ibiza-Video zu tun hatte: Julian Hessenthaler. Bemerkenswert: Die sogenannte "SOKO-Tape" setzte drei Ermittler auf die im Ibiza-Video von Strache geäußerte Bereitschaft zu Korruption, Posten und Untreue an. Dagegen ermittelten 17 Beamte gegen die Hintermänner des Videos: Also unter anderem gegen Julian Hessenthaler. Annemarie Schlack vom Wiener Büro der Organisation Amnesty International findet das alarmierend:
Hier stellt sich die Frage, wo ist die Verhältnismäßigkeit? Wird hier ein Sündenbock gesucht? Wird hier aus politischen Absichten jemand, der kritisch war, der hier Informationen ans Tageslicht gebracht hat, die für die österreichische Politik sehr entscheidend waren - wird hier ein Exempel statuiert?
Zweifel an den Zeugen
Hessenthaler wurde schließlich in Deutschland festgenommen und an die österreichischen Behörden ausgeliefert. Inzwischen sitzt er seit 14 Monaten in Untersuchungshaft. Die Anklage hat nichts mit Ibiza zu tun. Die Staatsanwaltschaft wirft Hessenthaler den Verkauf von 1,25 Kilogramm "Suchtgift, nämlich Kokain mit einem Reinheitsgehalt von mindestens 70 Prozent" vor. Mit einer äußerst dünnen Beweislage, sagt Oliver Scherbaum, Hessenthalers Anwalt:
Es gibt keine Tonbandaufzeichnungen, es gibt kein gefundenes Suchtgift, es gibt keine sonstigen Beweise, sondern der Verdacht basiert ausschließlich auf den Zeugenaussagen dieser beiden - gelinde gesagt - etwas dubiosen Belastungszeugen, die sich auch im Verfahren wiederholt widersprochen und sich gegenseitig als Lügner und psychisch krank bezeichnet haben.
Für das Gericht ist das offenbar kein Problem; im Drogenmillieu seien sich widersprechende Zeugenaussagen an der Tagesordnung. Hessenthalers Verteidiger Scherbaum kritisiert außerdem, dass Gelder in Höhe von 55.000 Euro geflossen seien, die an die beiden Zeugen gezahlt wurden - aus dem Umfeld des Glücksspielunternehmens Novomatic, das durch das Ibiza-Video in Schwierigkeiten geraten war.
Die Ungereimtheiten im Strafverfahren gegen Hessenthaler haben Ende letzten Jahres Menschenrechtsorganisationen zu einer konzertierten Aktion veranlasst: 15 österreichische und internationale NGOs kritisieren in einem offenen Brief eine "ausufernde Strafverfolgung" und äußern erhebliche Bedenken, dass Hessenthaler einen fairen Prozess bekommt. So auch Annemarie Schlack von Amnesty International:
Was wir in Österreich beobachten, ist ja ein Trend. Ein Trend dazu, kritische Stimmen einzuschüchtern. Wir sehen das in Klagen gegen Einzelpersonen, gegen Journalisten, gegen Medien. Und hier hat Julian Hessenthaler eine besondere Rolle, weil das was er da aufgedeckt hat, war ein Skandal, der die Republik bis ins Mark erschüttert hat.
14 Monate in Haft
Das Gericht äußert sich auf Anfrage des ARD-Studios Wien nicht zu den Vorwürfen, es handle sich hier um einen Schauprozess, der eine politisch unliebsame Person mundtot machen soll. Man kommentiere kein laufendes Verfahren. Anwalt Oliver Scherbaum betont, es brauche einen dringenden Tatverdacht, um einen Menschen in U-Haft behalten zu dürfen. Der ist für ihn bei Hessenthaler nicht gegeben:
Wie man sich vorstellen kann, geht es ihm nicht besonders gut. Es ist ja nicht schön, wenn man 14 Monate zu Unrecht im Gefängnis festgehalten wird. Aber er ist weiterhin guten Mutes, dass das Verfahren am Ende des Tages gut für ihn ausgeht und die Wahrheit ans Licht kommt. Nämlich, dass die Vorwürfe, die gegen ihn erhoben sind, allesamt falsch und konstruiert sind.