Britische Sanktionen Drakonisch - oder zahnlos?
Boris Johnson gibt sich als harter Sanktionierer gegen Russland, doch die Reaktion im Land fällt vernichtend aus. Kritiker verweisen auf Millionen-Spenden aus russischen Quellen und Fragen nach einem Gesetz gegen Geldwäsche.
Es klang erstmal gut heute im Parlament, wie so oft bei Boris Johnson: "Das Vereinigte Königreich ist ganz vorne mit dabei, wenn es um Sanktionen gegen Russland geht. Und unsere Sanktionen treffen Putin da, wo es ihn schmerzen wird." Zuvor hatte er sein Paket als "drakonisch" beschrieben. In der Realität aber sind die bislang von Johnson verhängten Sanktionen weitgehend zahnlos, wie es zum Beispiel Frank Vogl, der Mitbegründer von Transparency International, heute beschrieb.
Bislang wurden die Vermögen von fünf relativ kleinen russischen Banken eingefroren, vier davon sind bereits mit Sanktionen aus Washington belegt. Ein Schritt, der Putin so wenig treffen dürfte wie die Sanktionen gegen drei einzelne russische Oligarchen, die Johnson gestern bekannt gab - drei Männer, die ebenfalls bereits seit 2018 durch die USA sanktioniert werden. "Der Schlüssel für echte Sanktionen wäre, den Finanzhandel russischer Firmen in der Londoner City zu unterbinden. Das aber würde zu massiven Protesten aus dem Londoner Finanzsektor führen", so Vogl.
"Lauwarm", "halbgar"
Layla Moran, Abgeordnete der Liberaldemokraten, zitierte eine Liste von 35 russischen Oligarchen, die in Großbritannien weiterhin aktiv seien. Die seien durch Johnsons "lauwarmen Schritt" aber nun gewarnt und hätten jetzt genug Zeit, ihr Geld anderswo in Sicherheit zu bringen, so die Kritik der Opposition. Johnsons halbgarer Schritt sei letztlich kontraproduktiv und zeige, dass er gar kein echtes Interesse daran habe, gegen Oligarchen im eigenen Land vorzugehen, da seine Partei viel zu eng mit ihnen verflochten sei.
Tatsächlich berichtet der "Daily Telegraph" von massiven Lobby-Aktivitäten russischer Oligarchen mit Londoner Firmensitzen, die sich direkt im Außenministerium gemeldet hätten. Die Pipeline des russischen Geldes direkt ins Herz der Tory Partei sei ein Grund für die zahnlosen Sanktionen Johnsons, so beschrieb das Ian Blackford, der Chef der Schottischen Nationalpartei im Parlament.
Mindestens zwei Millionen Pfund aus russischen Quellen soll die Tory-Partei seit Johnsons Amtsantritt im Dezember 2019 erhalten haben. Die "Sunday Times" hatte darüber hinaus am Sonntag über einen "vertraulichen Beirat" einflussreicher Parteispender berichtet, der sich regelmäßig auch mit Johnson selbst getroffen habe. Mitglied in diesem "Beirat" ist unter anderem Ljubov Tschernuchin, Frau eines ehemaligen stellvertretenden Finanzministers Putins, die zuletzt durch eine Parteispende von 160.000 britischen Pfund für ein Tennis-Spiel mit Johnson aufgefallen war.
Eine Frage der Wahrnehmung
Johnson erwiderte darauf heute nur, seine Partei habe keine Spenden von russischen Oligarchen bekommen, sondern ausschließlich von britischen Staatsbürgern. Womit er den Vorwurf nicht grundsätzlich bestritt, denn die meisten russischen Oligarchen in London haben längst die britische Staatsbürgerschaft, oft über den Umweg der sogenannten "goldenen Visa", die von Superreichen gern genutzte Eintrittskarte in die britische Gesellschaft.
Wer mindestens zwei Millionen Pfund auf der Insel investiert, darf bleiben und sich um britische Staatsbürgerschaft bewerben. Seit 2015 haben mehr als 200 russische Multimillionäre so ihren Platz in London gefunden.
Dieses Schlupfloch wurde in der vergangenen Woche zwar von der britischen Innenministerin geschlossen. Die bislang aus Russland ins Land geflossenen Milliarden aber können dennoch weiter auf die Insel gelangen, anonym über Briefkastenfirmen.
Ein schmerzhaftes Gesetz in der Warteschleife
Das ist das eigentliche Problem Großbritanniens, und das kann nur mit einem Gesetz gelöst werden, das Firmengründer zwingt, ihre eigene Identität und die Herkunft ihres Kapitals transparent offenzulegen. Einen Gesetzentwurf hierfür, die sogenannte "Economic Crime Bill", gibt es seit vielen Jahren, die Umsetzung aber wurde immer wieder von den Tories verschoben.
In der vergangenen Woche noch hatte die britische Außenministerin Liz Truss erklärt, der Entwurf komme noch in dieser Legislaturperiode ins Parlament. Johnson aber wollte nun wieder nichts mehr davon wissen und erklärte stattdessen, der Entwurf werde frühestens Ende des Jahres im Parlament vorgelegt werden. Ein weiteres Versprechen, das seine Regierung gebrochen habe, so die Opposition.
Und so bleibt es vorerst weiter offen, ob die Johnson-Regierung jenseits gut klingender Schlagzeilen von "drakonischen Sanktionen" überhaupt ernsthaft vorhat, die engen Verflechtungen zwischen russischem Geld und der britischen Wirtschaft wirklich anzugehen. Nach der jüngsten Parlamentssitzung kann man darüber ernsthaft ins Zweifeln geraten.