Klage gegen Enthüllungsbuch Vier Oligarchen gegen eine Autorin
Eine britische Expertin schreibt ein Buch über das System Putin - und wird in London von vier Oligarchen wegen Verleumdung verklagt. Ihr Ziel dürften sie auch dann erreichen, wenn sie den Prozess verlieren.
Es war für Journalisten schon immer riskant, über die Geschichte des Aufstiegs von Wladimir Putin und den seiner Oligarchen zu berichten, nicht nur in Russland selbst. Nun ist es auch für britische Verlage heikel geworden, Bücher darüber zu veröffentlichen. Der neueste Fall dreht sich um das Buch "Putin's People" von der renommierten ehemaligen Moskau-Korrespondentin der "Financial Times", Catherine Belton, in dem sie Putins "KGB-Kapitalismus" und dessen Methoden zur eigenen Machterhaltung beschreibt.
Der "Guardian" lobte das bei Harper Collins in London erschienene Buch in einer Rezension als "bahnbrechend", die "New York Times" beschrieb es als eine gewissenhaft vollständige und dennoch elegante Zusammenfassung des Systems Putin, dessen Netzwerke längst auch tief in die westlichen Demokratien hineinreichen. London nimmt dabei als westlicher Lieblingsspielplatz für russische Oligarchen seit Jahren eine ganz besonders zentrale Stellung ein.
Strategische Klagen oft ruinös für Beschuldigte
Denn auch wenn der ehemalige britische Verteidigungsminister Gavin Williamson Russland als größte Bedrohung des Landes bezeichnet, dem man mit "äußerster Entschlossenheit" entgegentreten wolle, genießen Oligarchen aus dem Umkreis des Kreml in London Privilegien und Rechtsschutz wie kaum irgendwo sonst in der westlichen Welt.
Und so ist es möglich, dass Catherine Belton und ihr Verlag in London von insgesamt vier russischen Milliardären, darunter Michail Fridman, Roman Abramowitsch und Igor Setschin, dem Chef des vom Kreml kontrollierten Ölkonzerns Rosneft, unter anderem wegen angeblicher Verleumdung verklagt wurden.
Nun muss Belton kaum wirklich fürchten, diese Prozesse zu verlieren. Das eigentliche Problem aber liegt an anderer Stelle: Das britische Rechtssystem erlaubt sogenannte strategische Klagen, die oft nicht des Sieges wegen geführt werden, sondern um den Gegner zu zermürben und den Preis für kritische Meinungsäußerungen so dramatisch in die Höhe zu treiben. Denn die Anwaltskosten in solchen Prozessen können in die Millionen gehen und müssen von beiden Seiten zunächst vorgestreckt werden.
"Chilling effect" bei Autoren und Verlagen
Im Fall Belton haben drei Kläger die Autorin auch direkt persönlich verklagt. Für sie kann das am Ende den finanziellen Ruin bedeuten - selbst dann, wenn sie alle Prozesse gewinnt. Auf Nachfrage erklärte sie, sich derzeit nicht zu ihrem Buch und den Klagen öffentlich äußern zu können. Womit, wie es Jessica Ní Mhainín vom "Index for Censorship" formuliert, das Hauptziel der Kläger bereits erreicht sein könnte: der sogenannte chilling effect.
Verlage und Autoren werden es sich in Zukunft zweimal überlegen, ob sie sich in Großbritannien noch investigativ-kritischen Journalismus leisten können oder wollen. "Londons Gerichte sind damit international der Hauptstandort geworden, um kritischen Journalismus, nicht nur im Königreich, sondern in der ganzen Welt zum Schweigen zu bringen", drückt es Jessica Ní Mhainín aus.
Verlag will Buch "robust verteidigen"
Laut Justizministerium steigt die Zahl derartiger Verleumdungsklagen in London jährlich um bis zu 70 Prozent. Für die beteiligten britischen Anwaltskanzleien sind solche Prozesse ein gutes Geschäft: Je höher die Kläger die Kosten treiben, desto mehr verdienen auch sie daran. Und während die britische Regierung weiter erklärt, russischer Einmischung in westliche Demokratien "mit Entschiedenheit begegnen" zu wollen, wäre es vielleicht an der Zeit, sich stattdessen zunächst einmal mit dem eigenen Rechtssystem zu befassen.
Der Fall Belton ist in diesem Zusammenhang auch deshalb besonders interessant, da mit Rosneft als Kläger ein Konzern zugelassen wurde, der direkt vom Kreml kontrolliert wird - womit russische Oligarchen unter direkter Mitwirkung britischer Anwaltskanzleien in Zukunft Putin-Kritiker direkt in London zum Schweigen bringen könnten.
Die "Financial Times" rief die britische Regierung deshalb auch kürzlich in einem Editorial ausdrücklich dazu auf, die geltende Rechtspraxis zu ändern:
Die Aussicht auf mit diesen Prozessen verbundene enorme Kosten kann die freie Meinungsäußerung beschneiden, besonders dann, wenn es sich um Freelancer oder kleinere Verlage handelt, die klar im öffentlichen Interesse handeln, wenn sie kritische Publikationen drucken.
Beltons Verlag erklärte der Presse gegenüber, ihr Buch, das noch weiter in der ursprünglichen Fassung erhältlich ist, vor Gericht "robust zu verteidigen".