Britische Kritik an EGMR-Entscheidung "Undurchsichtig und skandalös"
Die britische Innenministerin Patel hat dem EGMR vorgrworfen, den ersten britischen Abschiebeflug nach Ruanda aus politischen Motiven verhindert zu haben. Ihre Regierung will an dem Vorgehen festhalten.
Großbritanniens Innenministerin Priti Patel hat das Eingreifen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) bei von London geplanten Abschiebeflügen nach Ruanda scharf kritisiert. "Die undurchsichtige Arbeitsweise dieses Gerichts ist absolut skandalös. Das muss hinterfragt werden", sagte Patel dem "Daily Telegraph". Sie gehe davon aus, dass die Entscheidung "politisch motiviert" gewesen sei.
Die britische Innenministerin Patel gilt als Hardlinerin in Asylfragen.
Die britische Regierung wollte in dieser Woche erstmals illegal nach Großbritannien gekommene Asylsuchende nach Ruanda bringen. Zu diesem Zweck hatte sie ein Abkommen mit der Regierung in Kigali abgeschlossen. Gegen Geld sollen die Menschen in dem ostafrikanischen Land untergebracht werden, um andere Menschen abzuschrecken, die Überfahrt über den Ärmelkanal nach Großbritannien zu versuchen.
Transport nach Afrika ohne Wiederkehr
Die Regierung von Premierminister Boris Johnson will Menschen von der illegalen Einreise in kleinen Booten über den Ärmelkanal abhalten, indem sie ihnen den Zugang zu einem Asylverfahren in Großbritannien verweigert. Stattdessen sollen die Migranten nach Ruanda geschickt werden und dort Asyl beantragen. Eine Rückkehr ist nicht vorgesehen.
Ein erster Flug in das afrikanische Land wurde vom EMGR in letzter Minute durch eine einstweilige Verfügung verhindert. Patel legte nahe, London könne der Europäischen Menschenrechtskonvention den Rücken kehren. Großbritannien wäre damit das einzige europäische Land neben Russland und Belarus, das sich von der Konvention verabschiedet.
Patel sagte nun in dem Zeitungsinterview, der Regierung sei die Identität der verantwortlichen EGMR-Richter nicht mitgeteilt worden. Zudem habe sie die vollständige Entscheidung des Gerichts erst später einsehen können.
Johnson will am Vorhaben festhalten
Der britische Premierminister Boris Johnson steht durch eine Rekordzahl ankommender Flüchtlinge politisch stark unter Druck. Er hatte im Wahlkampf eine deutlich striktere Einwanderungspolitik nach dem Brexit angekündigt. Seine Regierung erwägt nun, das britische Menschenrechtsgesetz neu zu fassen, um Abschiebungen zu erleichtern. Dieses Gesetz fußt auf der Europäischen Menschenrechtskonvention.
Johnson bestätigte, an der Ruanda-Politik festhalten zu wollen. Zuvor hatte er Rechtsanwälten, die sich für Migranten einsetzen, vorgeworfen, Schlepperbanden "Beihilfe" zu leisten. Wie das Innenministerium bestätigte, sollen illegale Einwanderer zudem versuchsweise mit elektronischen Fußfesseln versehen werden, um ein Abtauchen in den Untergrund zu verhindern.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit Sitz in Straßburg ist kein Organ der Europäischen Union. Hinter dem EGMR steht der Europarat. Dort sind auch Staaten Mitglied, die nicht in der EU sind - beispielsweise die Türkei oder das Vereinigte Königreich. Aus diesem Grund kann der EGMR auch für diese Länder verbindliche Entscheidung treffen. Inhaltlich prüfen die Straßburger Richterinnen und Richter, ob die jeweiligen staatlichen Maßnahmen mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) vereinbar sind.
Üblicherweise ist der Weg zum EGMR erst dann eröffnet, wenn auf nationaler Ebene der Rechtsweg ausgeschöpft ist, also kein Rechtsmittel im Land mehr möglich ist. In besonders eilbedürftigen Fällen kann Straßburg aber auch im Eilverfahren vorläufige Entscheidungen treffen. Zumeist geht es in diesen Fällen inhaltlich um drohende Abschiebungen. In der Vergangenheit waren pro Jahr 100 bis 200 solcher Eilanträge erfolgreich.
Von Christoph Kehlbach und Maximilian Bauer, ARD-Rechtsredaktion