Großbritannien Die begehrten WhatsApp-Chats des Ex-Premiers
Die britische Regierung weigert sich, WhatsApp-Nachrichten Johnsons unzensiert an einen Untersuchungsausschuss weiterzugeben. Nun will der Ex-Premier sie selbst aushändigen - und geht damit auf Konfrontationskurs mit der Regierung.
Seit Tagen spitzt sich in Großbritannien ein Streit zwischen der Regierung und dem Corona-Untersuchungsausschuss des Parlaments zu: Letzterer soll das Handeln der damaligen Regierung in der Pandemie untersuchen und fordert dafür aus dieser Zeit den unzensierten WhatsApp-Verlauf von Ex-Premier Boris Johnson mit Regierungsvertretern. Auch in Kalendereinträge und Notizbücher möchte das Gremium Einsicht nehmen. Die Regierungsbehörde Cabinet Office weigert sich aber bisher, die geforderten Unterlagen unzensiert auszuhändigen.
Nun ging Johnson auf Konfrontationskurs mit der Regierung - und kündigte an, die Nachrichten selbst direkt an den Ausschuss weiterzugeben. Das meldet die britische Nachrichtenagentur PA unter Berufung auf ein Schreiben des konservativen Politikers an den Ausschuss. Damit geht das tagelange Tauziehen um die Chatverläufe vorläufig zu Ende.
Regierung wollte vor Gericht ziehen
Mit seinem Schritt umgeht Johnson die aktuelle Regierung seines Parteikollegen Rishi Sunak. Diese begründet ihre bisherige Weigerung damit, dass der Inhalt der WhatsApp-Nachrichten größtenteils irrelevant für den Ausschuss sei. Eine Frist ließ sie trotz Androhung strafrechtlicher Konsequenzen am Donnerstag verstreichen und kündigte an, vor Gericht zu ziehen.
Medien zufolge könnte die Regierung fürchten, dass mit der Herausgabe der geforderten Nachrichten auch Sunaks Rolle in der Pandemie erneut unter die Lupe genommen wird. Der heutige Regierungschef war zur fraglichen Zeit Finanzminister. Es könnten sich zudem Nachrichten anderer Minister in dem Verlauf finden, die deren Ansehen in der Öffentlichkeit schaden könnten.
Johnson hingegen hat kaum etwas zu verlieren. Er musste sein Amt als Premier im vergangenen Sommer wegen dauernder Skandale niederlegen. Ihm werden aber Ambitionen auf eine Rückkehr an die Regierungsspitze nachgesagt.
Bereits am Mittwochabend hatte Johnson die Regierung bloßgestellt, als er mitteilen ließ, er habe seine Nachrichten und Notizbücher an das Cabinet Office übergeben, und forderte, diese an den Ausschuss weiterzuleiten. Bis dahin hatte die Behörde angegeben, nicht im Besitz der Nachrichten zu sein. In seinem Schreiben an den Ausschuss kündigte der Ex-Premier nun zudem an, weitere WhatsApp-Nachrichten zu liefern, sollte ihm von der Regierung Zugang auf ein altes Handy gewährt werden.
227.000 bestätigte Todesfälle
Der Corona-Untersuchungsausschuss soll die zögerliche und teils chaotische Handhabung der britischen Regierung in der Pandemie aufarbeiten. Im Vereinigten Königreich starben laut Sterbeurkunden etwa 227.000 Menschen an Covid-19 - deutlich mehr als in Deutschland.
Dass in London selbst wichtige Absprachen innerhalb der Regierung per WhatsApp erledigt werden, ist ein offenes Geheimnis. Inhalte aus mehr als 100.000 Whatsapp-Nachrichten des früheren Gesundheitsministers Matt Hancock waren erst im März an die Öffentlichkeit gelangt und brachten den Ex-Minister in Erklärungsnot. Eine Journalistin, die als Ghostwriterin für Hancock tätig war, hatte die Nachrichten an die Zeitung "The Daily Telegraph" weitergeleitet.