Großbritannien Johnson tritt als Parteichef zurück
Der Druck war zu groß geworden: Großbritanniens Premier Johnson tritt als Chef seiner Konservativen Partei zurück. Er wolle aber als Regierungschef weitermachen, bis ein Nachfolger gewählt sei. Reue zeigt Johnson nicht.
Der britische Premierminister Boris Johnson hat seinen Rücktritt als Chef der konservativen Tory-Partei verkündet. Er wolle jedoch Premierminister bleiben, bis ein Nachfolger gefunden sei, sagte Johnson in einer Ansprache. Er sei traurig, "den besten Job der Welt" aufgeben zu müssen.
Allerdings fordern zahlreiche Parteifreunde, Johnson solle sofort auch als Regierungschef abtreten. Die Opposition verlangt eine Neuwahl. Als mögliche Nachfolger Johnsons gelten unter anderem Außenministerin Liz Truss und Verteidigungsminister Ben Wallace.
Dutzende Rücktritte in den vergangenen Tagen
Der Premier war in den vergangenen Tagen massiv unter Druck geraten. Nach einer ganzen Reihe von Skandalen traten seit Dienstagabend mehr als 50 Regierungsmitarbeiter aus Protest gegen Johnson zurück, darunter mehrere Minister. Am Morgen trat auch die erst vor zwei Tagen nach dem Rücktritt ihres Vorgängers ernannte neue Bildungsministerin Michelle Donelan zurück.
Wenige Minuten zuvor hatte Finanzminister Nadhim Zahawi, der ebenfalls erst zwei Tage zuvor von Johnson ernannt worden war, den 58-Jährigen zum Rücktritt aufgefordert.
Keine Reue
Bei seiner gut sechsminütigen Ansprache vor seinem Amtssitz in der Downing Street 10 zeigte Johnson keine Reue. Stattdessen kritisierte er die Rücktrittsforderungen seiner Partei als "exzentrisch". "Es ist nun eindeutig der Wille der konservativen Parlamentsfraktion, dass es einen neuen Parteichef geben soll und damit auch einen neuen Premierminister", sagte er. Er habe zugestimmt, dass der Auswahlprozess für einen neuen Parteichef nun beginnen solle.
Johnson betonte zugleich, er habe noch versucht, seine Partei von seinem Verbleib zu überzeugen. "Ich bedauere, dass ich keinen Erfolg hatte mit diesen Argumenten, und natürlich ist es schmerzhaft, so viele Ideen und Projekte nicht selbst vollenden zu können", sagte er.
Der neue Parteichef der Konservativen wird voraussichtlich noch im Sommer gewählt und dann Johnson auch als Premierminister ablösen.
Kabinett neu besetzt
Kurz vor seiner Stellungnahme besetzte Johnson mehrere Kabinettsposten neu. Seine langjährigen Vertrauten James Cleverly und Rit Malthouse beauftragte er mit der Leitung des Bildungsministeriums beziehungsweise der zentralen Regierungsbehörde Cabinet Office. Den früheren Wirtschaftsminister Greg Clark, einen Brexit-Gegner, ernannte er zum Minister für Levelling Up, also Angleichung der Lebensverhältnisse. Der ehemalige Justizminister Robert Buckland, den Johnson erst im September 2021 gefeuert hatte, wurde Staatsminister für Wales.
Oppositionschef Keir Starmer von der Labour-Partei begrüßte den Rücktritt Johnsons. Er forderte aber, nun sei ein "frischer Start" nötig. "Wir brauchen eine Labour-Regierung", sagte Starmer. "Wir sind bereit."
Fehlverhalten lange abgestritten
Ausgelöst wurde die jüngste Regierungskrise in Westminster durch eine Affäre um Johnsons Parteikollegen Chris Pincher, dem sexuelle Belästigung vorgeworfen wird. Zuvor war herausgekommen, dass Johnson von den Anschuldigungen gegen Pincher wusste, bevor er ihn in ein wichtiges Fraktionsamt hievte. Das hatte sein Sprecher zuvor jedoch mehrmals abgestritten.
Die Affäre ist jedoch wohl nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Johnson steht schon seit Monaten massiv wegen illegaler Lockdown-Partys während der Pandemie im Regierungssitz Downing Street in der Kritik. Er hatte wegen Teilnahme an einer der illegalen Zusammenkünfte selbst einen Strafbefehl von der Polizei erhalten und ist damit der erste britische Regierungschef, der sich während seiner Amtszeit strafbar gemacht hat. Trotzdem stritt er lange jegliches Fehlverhalten ab.