Rentenreform in Frankreich Lässt es Macron auf den Präzedenzfall ankommen?
Frankreichs Präsident Macron hat die Rentenreform durchgeboxt, ohne die Nationalversammlung abstimmen zu lassen. Heute könnte es zum Showdown im Parlament kommen - bei einem letzten Versuch, die Reform doch noch zu stoppen.
Charles de Couson ist kein Extremist. Der Parlamentarier der zentristischen Fraktion LIOT ist der dienstälteste Abgeordnete im Parlament und ein sehr besonnener Mann. Doch die Regierung ist nicht gut auf ihn zu sprechen. Denn de Courson hat vor, die Rentenreform doch noch zu stoppen.
"Was ich fordere, ist, dass wir den parlamentarischen Prozess bis zum Ende gehen und dass man die Nationalversammlung für oder gegen die obligatorische Rente mit 64 abstimmen lässt", sagt er.
Änderungsantrag soll Abstimmung herbeiführen
Denn genau das hat die Regierung verhindert. Mit der Anwendung verschiedener Verfassungsartikel - dem 49.3. oder dem 47.1. - ist es ihr gelungen, den Gesetzgebungsprozess der Rentenreform zu verkürzen, um auf diese Weise Druck zu erzeugen und eine Abstimmung über den Text zu umgehen. De Courson ist empört: "Wir haben jetzt ein Gesetz, das der Präsident unterschrieben hat, über das aber in der Nationalversammlung nie abgestimmt wurde. Das ist doch unglaublich!"
Um doch noch eine Abstimmung herbeizuführen, hatte de Courson selbst einen Gesetzentwurf eingebracht. Artikel 1 dieses Entwurfs sah vor, die Erhöhung des Renteneintrittsalters zurückzunehmen. Dieser Artikel aber wurde mit der Mehrheit der Regierungsstimmen im zuständigen Ausschuss gekippt. Deshalb unternimmt de Coursons LIOT Fraktion heute einen neuen, einen letzten Versuch: Sie wird ihren Artikel 1 in Form eines Änderungsantrags erneut einbringen.
Parlamentspräsidentin will Antrag abschmettern
Aber die Parlamentspräsidentin, Yael Braun Pivet, hat schon erklärt: "Egal was passiert, es wird keine Abschaffung der Rentenreform geben." Denn Braun Pivet wird den Änderungsantrag ablehnen. Mithilfe von Artikel 40, der besagt: Anträge, die den Haushalt des Staates belasten ohne einen ausreichenden Finanzausgleich zu schaffen, sind unzulässig.
Verfassungsrechtler Gilles Toulemonde findet dieses Manöver gefährlich, auch wenn es rechtlich zulässig ist, wie er sagt. "Ich fürchte, wenn sie das macht, dass dann die Mehrheit der Oppositionspolitiker das Parlament verlassen wird." Die demokratische Krise in Frankreich werde sich noch verstärken. "Viele Leute werden sich von den Urnen abwenden und nicht mehr wählen gehen. Mehr als sie es ohnehin schon tun."
Stillstand und noch mehr Proteste?
Macrons Regierung schaffe hier einen gefährlichen Präzedenzfall, sagt Verfassungsrechtler Toulemonde. Denn sie reize die Möglichkeiten der Verfassung auf eine Art und Weise aus, die dem heutigen Anspruch auf demokratische Teilhabe widerspreche. "Es besteht das Risiko, dass 2027 eine Partei an die Macht kommt, die die demokratische DNA nicht gerade verinnerlicht hat und ihrerseits diese Verfassungsartikel für undemokratische Ziele anwenden wird."
Sollte die Regierung den Antrag der Fraktion LIOT wie angekündigt abschmettern, könnte es zu einem abermaligen Misstrauensantrag kommen - sozusagen ein letztes Aufbäumen der Opposition. Die Regierung würde ihn aller Wahrscheinlichkeit nach überstehen. Doch sie riskiert für den Rest ihrer Amtszeit Stillstand und noch mehr Proteste. Das bittere Fazit in den Augen von Verfassungsrechtler Gilles Toulemonde: Die französische Demokratie hat nachhaltig Schaden genommen.