Parlamentswahl in Frankreich "Eine Situation der Nicht-Regierbarkeit"
Nach der Wahl in Frankreich stellt sich die Frage, wie es nun weitergehen soll. Während sich die Rechtspopulistin Le Pen und das links-grüne Bündnis NUPES angriffslustig zeigen, warnt die Regierung vor einer Blockadehaltung.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron stehen nach dem Verlust der absoluten Mehrheit im Parlament schwere Zeiten bevor. Ingouvernable - unregierbar - titelt heute "Le Parisien". Dazu druckt die Tageszeitung einen düpiert guckenden Präsidenten. "Ist Macrons zweite Amtszeit schon vorbei?", fragen die Nachrichtensender. Denn wie Macron eine Mehrheit im Parlament für beispielsweise staatliche Hilfen organisieren soll, scheint unklar.
"Es ist eine Situation der quasi Nicht-Regierbarkeit entstanden", sagt der Politologe Dominique Reynié. "Ich befürchte sehr, dass die Kombination von fehlender Mehrheit und Unruhe im Parlament und dazu Unruhen auf der Straße zu einer Krise des ganzen Systems werden kann."
Macrons Wahlbündnis Ensemble kam bei der Parlamentswahl auf 249 Sitze, für die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung wären 289 Mandate notwendig gewesen. Das Linksbündnis NUPES und dessen Unterstützer kommen gemeinsam auf 137 Abgeordnete, die Le Pen-Partei Rassemblement National (RN) auf 89.
Le Pen will sich auf Fraktionsarbeit konzentrieren
Deren Vorsitzende, Marine Le Pen, will sich nach dem Überraschungserfolg ihrer Partei künftig ganz auf ihre Rolle als Fraktionschefin konzentrieren. Sie werde daher nicht wieder den Vorsitz der Partei RN übernehmen, den sie während ihres Präsidentenwahlkampfs vorerst an Jordan Bardella abgegeben hatte, kündigte sie an. "Wir sind die stärkte Oppositionspartei", sagte Le Pen. Zudem hat der RN die nötige Zahl an Mandaten, um künftig ein Misstrauensvotum einzubringen oder den Verfassungsrat anzurufen.
Ihre Partei forderte den Vorsitz der Finanzkommission in der Nationalversammlung, der traditionell der stärksten Oppositionsfraktion zukommt. Außerdem will sie den Vizepräsidenten oder die Vizepräsidentin der Nationalversammlung stellen. "Wir werden alles einfordern, was uns zusteht", so Le Pen. "Unsere Fraktion wird keine Kompromisse eingehen, was die Mittel angeht, die ihr zugestanden werden, um die Franzosen verteidigen zu können."
NUPES will Misstrauensantrag stellen
Als Bündnis hat die links-grüne Allianz NUPES mehr Mandate als Le Pen, aber nicht die einzelnen Parteien von LFI über Kommunisten, Sozialisten und Grüne. NUPES hat bereits angekündigt, die amtierende Premierministerin Élisabeth Borne könne nach diesem Wahlergebnis nicht weiter regieren. Man werde am 5. Juli einen Misstrauensantrag einbringen.
"Das Präsidentenlager wird durch diese Wahl quasi pulverisiert", sagt NUPES-Sprecher Alexis Corbière. "Die Nationalversammlung ist zweifellos ein Spiegelbild, wie komplex unser Land politisch ist. Zum ersten Mal in der Geschichte der fünften Republik ist der Präsident in der Nationalversammlung in der Minderheit. Ich glaube, dass daraus Konsequenzen gezogen werden müssen, denn Frau Borne ist völlig disqualifiziert."
Tatsächlich ist es in der Geschichte der fünften Republik nicht das erste Mal, dass der Präsident ohne absolute Parlamentsmehrheit dasteht und mit seiner Regierung auf die Unterstützung anderer Lager bauen muss. Zuletzt geriet im Jahr 1988 François Mitterrand in diese Situation.
Regierungssprecherin warnt vor Totalblockade
Die Konservativen im Parlament wollen dem Misstrauensantrag von NUPES gegen die Premierministerin nicht folgen. Präsident Macron schweigt zu alldem, doch sein Minister Stanislas Guérini findet Worte. "Angesichts der Ergebnisse haben sich die Franzosen für das Verhältniswahlrecht entschieden, vorgreifend sozusagen. Ja, wir sind in einer Situation, die komplexer und heikler ist als vorher. Aber im Interesse des Landes müssen wir daraus etwas Positives machen."
Regierungssprecherin Olivia Grégoire warnte die anderen Parteien vor einer Totalblockade der Regierungsarbeit. "Meine Sorge ist, dass das Land blockiert wird", sagte Grégoire dem Sender France Inter. Auf jeden Fall werde die Regierungsarbeit künftig "kompliziert", es könne nur durchgesetzt werden, was machbar sei. "Ohne Frage" müssten die Hintergründe für die Niederlage des Wahlbündnisses von Präsident Emmanuel Macron analysiert werden, räumte die Sprecherin ein. Gleichzeitig erklärte sie das Wahlergebnis mit Wahlmüdigkeit der Franzosen.
Nachdem mehrere Minister nicht wiedergewählt wurden, kündigte Grégoire eine rasche Regierungsumbildung an. Das neue Kabinett solle in den kommenden Tagen vorgestellt werden.