Nach brutalen Taten Frankreichs Aktionsplan gegen Jugendgewalt
Nach einer Reihe äußerst brutaler Verbrechen diskutiert Frankreich erneut über Jugendgewalt. Premierminister Attal will einen Aktionsplan vorlegen und sowohl Schüler als auch deren Eltern in die Verantwortung nehmen.
Schon wieder diskutiert Frankreich über jugendliche Gewalttäter, und wieder wird ein Aktionsplan aufgelegt. Diesmal von Premierminister Gabriel Attal, der nun 100 Tage im Amt ist. Er wolle eine schonungslose Bestandsaufnahme machen, versprach er: "Alle Bürgermeister bestätigen uns, dass es einige wenige sind, die diese Gewalt ausüben und das Leben aller im Viertel zur Hölle machen. Die Lokalpolitiker kennen diese Jugendlichen, aber ihnen sind die Hände gebunden."
Mehrere schockierende Gewalttaten
Da müsse man hinschauen und ohne zu zögern bestrafen. "Wir brauchen einen wahren Autoritätsruck, einen Aufbruch", forderte Attal dort, wo vor wenigen Wochen der 15-jährige Shemseddine vor dem Schultor zu Tode geprügelt wurde: in Viry-Châtillon, im Süden von Paris. Die fünf Täter waren bis auf einen allesamt minderjährig. Die Begründung für ihre Tat: Shemseddine soll mit der Schwester eines der Täter unziemlich gesprochen haben.
In Montpellier wurde ein Mädchen von einer Gruppe Jugendlicher ins Koma geprügelt; sie war wegen ihrer freizügigen, europäischen Kleidung zuvor gemobbt worden. In Marseille haben eine Mutter und ihre Tochter eine Schuldirektorin attackiert. Die Liste ließe sich fortsetzen.
Eltern, Schüler und soziale Medien im Fokus
Für diese Gewaltexzesse gebe es verschiedene Gründe, erklärte Attal. Etwa überforderte oder gleichgültige Eltern, rücksichtsloser Individualismus und grassierender Islamismus. Das Problem an der Wurzel zu packen, bedeute auch, ohne Gnade gegen den Islamismus zu kämpfen.
Immer öfter reagierten sich diese Jugendlichen ab, indem sie republikanische Werte mit Füßen träten und die Laizität - also die Trennung zwischen Staat und Religion - missachteten. "Es ist nicht akzeptabel, dass eine religiöse Ideologie unsere Gesetze infrage stellt. Dass eine junge Frau nicht mehr die Freiheit hat, in diesen Vierteln ohne Schleier unterwegs zu sein, wenn sie das möchte. Das einzige Gesetz in Frankreich ist das der Republik", so Attal.
Der Premierminister kündigte verschiedene Maßnahmen an. Unter anderem sollen aggressive Schüler frühzeitig aus ihrem Umfeld entfernt und in einem Internat beschult werden, die Justiz müsse Vergehen schneller ahnden, Eltern müssten besser begleitet, aber auch stärker zur Rechenschaft gezogen werden. Zudem sollten die Schulen länger geöffnet bleiben, um die Jugendlichen so wenig wie möglich unbeaufsichtigt zu lassen.
Auch der Medienkonsum müsse begrenzt werden, das hätten die Ausschreitungen im vergangenen Sommer gezeigt. Damals hätten sich die Jugendlichen über die sozialen Netzwerke zu einem wahren Wettbewerb der Zerstörung aufgestachelt. "Wir werden das regulieren", so Attal. "Und wir haben bereits die nötigen Maßnahmen angestoßen, um die Krawallmacher aus den sozialen Netzwerken zu verbannen."
Keine neuen Ideen
All das haben Lehrer und Lehrerinnen schon häufig gehört, vermissen aber eine langfristige Investitionsstrategie um Schulen und Sozialarbeit nachhaltig gut auszustatten. Deshalb kritisierten auch Lehrergewerkschaften und Bildungsforscher, dass Attal das Entscheidende nicht erwähnt habe.
Lehrerin Guislaine David von der Gewerkschaft SNUIP-FSU bedauerte im Sender BFMTV: "Ich habe Attal in der Rede kein einziges Mal von Schulpersonal sprechen hören. Wir brauchen mehr geschultes Personal: Sozialarbeiter, Psychologen, Erzieher."
In Saint-Denis im armen Norden von Paris gebe es Lehrer, die seit sechs Wochen streiken. Ein Hilfeschrei, um darauf aufmerksam zu machen, dass sie dringend mehr Personal brauchen. Aber eine Antwort vom Ministerium hätten sie immer noch nicht.
Ein neuer Aktionsplan
Zwar sollen nun Vertreter und Vertreterinnen aus allen relevanten Bereichen - Schule, Sozialarbeit, Justiz, Polizei - an einen Tisch geholt werden und innerhalb von nur acht Wochen ein Anti-Gewaltprogramm erarbeiten. Aber die Frage drängt sich auf, ob dieser erneute Aktionsplan geeignet sein wird, die Probleme nachhaltig zu lösen.
Die Regierung sieht sich vor einem gewaltigen und lange gewachsenen Problem: Sie gibt an, dass Jugendliche zwischen 13 und 17 Jahren gemessen an der Gesamtbevölkerung deutlich gewalttätiger und krimineller sind. In den Statistiken tauchen sie in der Kategorie "Schläge und Verletzungen" doppelt so häufig auf, im Drogenhandel vier Mal so oft und bei bewaffnetem Raub sogar siebenmal so häufig.
Es fehlt nicht an Analysen
Und an Analysen fehlt es eigentlich nicht. Bereits zum Amtsantritt Macrons sollte das Problem in den Vorstädten bei der Wurzel gepackt werden. Der frisch gewählte Präsident ließ einen Masterplan erarbeiten. Als der teuer zu werden drohte und nur langfristig Erfolg zu versprechen schien, ließ Macron den sogenannten "Plan Borloo" in der Schublade verschwinden.
Nach den Ausschreitungen im vergangenen Sommer kündigte die damalige Premierministerin Elisabeth Borne Ergebnisse aus wochenlangen Beratungen mit Lokalpolitikerinnen und Lokalpolitikern an. Und zuletzt hat der Senat seine eigene Bilanz dieser Krawallnächte vorgelegt: Die Schäden belaufen sich auf eine Milliarde Euro, 1.000 Menschen wurden verletzt. Insgesamt sollen sich 50.000 Randalierer beteiligt haben. Ein Drittel davon waren Minderjährige.