Regierungsbildung in Frankreich Zehntausende protestieren gegen neuen Premier
Frankreichs Präsident Macron hat den Konservativen Barnier zum Premier ernannt - und damit die Wut vieler Franzosen heraufbeschworen. Sie werfen ihm vor, das Ergebnis der Parlamentswahl zu missachten - und gehen auf die Straße.
In Frankreich sind Zehntausende Menschen auf die Straße gegangen, um gegen die Ernennung des konservativen Politikers Michel Barnier zum Premierminister zu protestieren.
In Paris, aber auch in vielen anderen Städten wie Nantes, Nizza oder Marseille gingen die Menschen auf die Straße. Die Organisatoren gaben an, dass etwa 300.000 Menschen in ganz Frankreich demonstrierten, darunter 160.000 in Paris. Die Polizei sprach in Paris dagegen von 26.000 Protestierenden.
Die Wut der Demonstrierenden richtete sich auch offen gegen Präsident Emanuel Macron, gegen den Rücktrittsforderungen laut wurden.
Barniers Partei stellt nur die fünftgrößte Fraktion
Linke Parteien werfen Macron vor, mit der Auswahl des ehemaligen EU-Kommissars das Ergebnis der Parlamentswahl vor rund zwei Monaten zu ignorieren. Seitdem stellt die Mitte-Rechts-Partei Barniers, Les Républicains, mit weniger als 50 Abgeordneten nur die fünftgrößte Fraktion.
Stärkste Kraft wurde die Neue Volksfront (NFP). Macron lehnte es jedoch ab, sie mit der Regierungsbildung zu beauftragen, da andere Parteien mit der linken Sammlungsbewegung nicht zusammenarbeiten wollen.
Nach der Ernennung des 73-jährigen Barniers, der als EU-Kommissar die Brexit-Verhandlungen geleitet hat, riefen Gewerkschaften, Studierendenvertretungen und vor allem das linke Parteienspektrum zu Massenkundgebungen auf.
Frankreich droht eine Streikwelle
Einer am Freitag veröffentlichten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Elabe zufolge sind 74 Prozent der Franzosen der Meinung, Macron habe das Wahlergebnis missachtet. Frankreich droht am 1. Oktober eine Streikwelle, die bereits mit dem Demonstrationsaufruf für heute angekündigt wurde.
Macron hatte nach dem Erstarken des rechten Rassemblement National (RN) bei der Europawahl Neuwahlen ausgerufen. Jedoch verlor seine eigene Bewegung Ensemble bei der Abstimmung Anfang Juli die Mehrheit im Parlament.
Die französische Verfassung gibt dem Präsidenten das Recht, für das Amt des Ministerpräsidenten zu ernennen, wen er will. Jedoch muss diese Person in der Lage sein, Misstrauensvoten der Opposition zu überstehen. Allerdings stellen NFP und RN zusammen eine Mehrheit und könnten - im Falle einer Zusammenarbeit - den Regierungschef stürzen.
Bardella: Barnier ist unter Beobachtung
Beide Lager hatten massiv gegen einige von Macrons unpopulären Reformvorstößen gewettert. Dazu zählt vor allem die Anhebung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre. Barnier kündigte an, die Reform mitzutragen. Der RN wird in der Konstellation zum Königsmacher, da die Partei Barnier unter bestimmten Bedingungen zugesichert hat, sich nicht an einem Misstrauensvotum zu beteiligen.
RN-Chef Jordan Bardella sagte dem Sender BFM, Barnier sei ein Ministerpräsident unter Beobachtung. "Ohne uns geht nichts". Barnier erklärte in seinem ersten Interview nach seiner Ernennung, er wolle das zersplitterte Parlament einen und zugleich einen härteren Kurs in der Einwanderungspolitik einschlagen.
Barnier ist mit 73 Jahren der älteste Premierminister in der Geschichte der fünften Französischen Republik und Nachfolger des Liberalen Gabriel Attal, der mit 34 der Jüngste in diesem Amt war.