EU-Treffen in Porto Ein Sozialgipfel genau "zur rechten Zeit"?
Die Corona-Krise belastet die europäische Wirtschaft - mit Folgen für Jobs und Bildung. In Porto berät die EU darüber, wie sie sozialer werden kann. Bisherige Beschlüsse wurden kaum umgesetzt. Zudem droht Streit um Impfstoffe.
Die EU-Staats- und Regierungschefs sind zu ihrem ersten Sozialgipfel seit dreieinhalb Jahren zusammengekommen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen betonte im portugiesischen Porto die Notwendigkeit, die EU vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Verwerfungen der Corona-Krise sozial zu stärken.
Der Gipfel komme zur rechten Zeit, sagte von der Leyen. "Wir haben ein sehr hartes Pandemie-Jahr hinter uns", das schwierig für viele Menschen gewesen sei. "Wir müssen sicherstellen, dass der soziale Aspekt absolute Priorität hat." Zudem müsse die EU angesichts der Herausforderungen durch Klimawandel und Digitalisierung ein stärkeres Gewicht auf Weiter- und Höherbildung legen, um in Zukunft "gute Jobs" zu garantieren.
"Das soziale Europa ist wichtiger denn je"
Das Treffen begann am Nachmittag mit einer Sozialkonferenz mit Spitzenvertretern der EU-Institutionen, Sozialpartnern und einem Teil der Staats- und Regierungschefs. "Das soziale Europa ist wichtiger denn je", erklärte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, der Deutschland bei der Konferenz vertrat. Ziel müsse es sein, überall in der EU die Lebensverhältnisse zu verbessern und für mehr soziale Gerechtigkeit zu sorgen.
Es ist der erste EU-Sozialgipfel seit 2017. Dieser soll an die Beschlüsse des vorangegangenen Treffens im schwedischen Göteborg anknüpfen. Dort hatten die Staats- und Regierungschefs eine "europäische Säule sozialer Rechte" vereinbart, die vom Anrecht auf lebenslange Weiterbildung über "angemessene Mindestlöhne" bis zur Gleichbehandlung von Frauen und Männern reichen. Die konkrete Umsetzung steht dreieinhalb Jahre nach Göteborg noch immer aus - auch weil ein Teil der Mitgliedstaaten soziale Fragen primär als nationale Angelegenheit sieht.
Laut Entwurf der Gipfelerklärung wollen die Staats- und Regierungschefs die Göteborg-Beschlüsse bekräftigen und sich hinter einen Aktionsplan der EU-Kommission zur Umsetzung stellen. Die EU-Behörde hatte darin im März drei Hauptziele bis zum Jahr 2030 formuliert: eine Beschäftigungsquote von mindestens 78 Prozent, Fortbildung für mindestens 60 Prozent der Erwachsenen jährlich und die Verringerung der Zahl von Menschen, die von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht sind, um mindestens 15 Millionen, darunter fünf Millionen Kinder.
Hilfe für junge Menschen
Betonen wollen die Gipfelteilnehmer auch die Unterstützung für junge Menschen. Denn diese seien in ihren Berufs- und Ausbildungsplänen durch die Corona-Pandemie "sehr negativ getroffen" worden, heißt es im Erklärungsentwurf. Die EU müsse deshalb "vorrangig Maßnahmen zur Unterstützung junger Menschen ergreifen".
Über Tage rangen die Mitgliedstaaten über eine Passage, die ursprünglich den Begriff "Geschlechtergleichheit" beinhalten sollte. Polen und Ungarn blockierten dies aber laut Diplomaten vor dem Hintergrund christlicher Familienbilder in ihren Ländern, weil sie darin einen Verweis auf LGBT-Rechte sahen. Der Begriff kommt nun in der finalen Version des Erklärungsentwurfs nicht mehr vor, die am Samstag verabschiedet werden soll.
Am Abend ging es auch um die Corona-Pandemie und dabei unter anderem um die Frage, ob Impfstoffpatente freigegeben werden sollten, um die weltweite Versorgung voranzubringen. Die EU-Staaten sind da uneins. Die Bundesregierung sieht eine Freigabe von Impfstoffpatenten im weltweiten Kampf gegen die Corona-Krise skeptisch. Dies bekräftigte Sprecherin Ulrike Demmer. Andere EU-Länder wie Polen, Italien oder Frankreich und die EU-Kommission zeigen sich offener für den Vorstoß von US-Präsident Joe Biden.
Von der Leyen fordert Länder zum Teilen von Impfstoff auf
EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen warnte aber vor zu hohen Erwartungen an eine Aussetzung der Patente. Dies werde "kurz- und mittelfristig (...) nicht die Probleme lösen" und "keine einzige Impfdosis bringen", sagte von der Leyen. Nötig sei vielmehr, dass Länder mit Impfstoffen diese teilten, der Export nicht beschränkt und in den Ausbau der Produktion investiert werde.
Von der Leyen betonte, Europa habe bereits damit begonnen, seine Impfstoff-Bestände zu teilen. Sie verwies auf eine Lieferung von 650.000 Dosen an die Westbalkan-Staaten. Darüber hinaus sei Europa "die einzige demokratische Region der Welt, die im großen Umfang exportiert", sagte die Kommissionschefin. Rund die Hälfte aller in der EU hergestellten Impfstoffe würden ausgeführt. Sie forderte andere Länder auf, dem Beispiel zu folgen.
Bei der Investition in Produktionskapazitäten sei klar, dass es nicht nur um europäische Kapazitäten gehe, sagte von der Leyen. "Wir müssen auch mit Pharmaunternehmen zusammenarbeiten, um mit der Zeit Kapazitäten, zum Beispiel in Afrika, aufzubauen."