Personalpoker in Brüssel Wer bekommt die EU-Spitzenjobs nach der Wahl?
Nach der Europawahl werden die EU-Spitzenjobs neu vergeben. Wie geht es weiter mit von der Leyen, Michel, Borrell und Metsola? Darüber verhandeln ab heute die Staats- und Regierungschefs.
Vor gut einer Woche haben Europas Bürgerinnen und Bürger ein neues EU-Parlament gewählt. Jetzt diskutieren die EU-Spitzen beim Abendessen die wichtigen Personalfragen: Ursula von der Leyen ist heute Abend zum Auftakt des Treffens in Brüssel dabei. Aber sie nimmt nicht am Dinner teil, bei dem über ihre politische Zukunft entschieden werden soll.
Die EU-Staats- und Regierungschefs und -chefinnen besprechen beim Abendessen Konsequenzen aus dem Wahlergebnis. Einige von ihnen hatten dazu schon am Rande des G7-Gipfels in Italien und der Ukraine-Konferenzen in Berlin und der Schweiz Gelegenheit. Die 27 Staaten beraten, welche Parteienfamilie welchen Spitzenjob bekommt.
Von der Leyen und Michel haben sich in den vergangenen Jahren nicht immer gut verstanden. Sollte es für die Kommissionschefin weitergehen, dürfte sie zukünftig einen anderen Partner im Europäischen Rat haben.
Von der Leyen möchte weitermachen
Zuallererst geht es um die Führung von Europas mächtigster Behörde, die Gesetze vorschlägt und die Einhaltung der EU-Verträge überwacht: die EU-Kommission. CDU-Politikerin von der Leyen war Spitzenkandidatin der erfolgreichen christdemokratischen EVP. Sie würde gerne ihr Amt behalten.
Nach der Europawahl 2019 dauerte es gut fünf Wochen, bis die Posten verteilt waren. Diesmal könnte es schneller gehen. Das wäre jedenfalls aus Sicht von EVP-Partei- und Fraktionschef Manfred Weber die logische Schlussfolgerung aus dem Wahlergebnis. Er appelliert an die Staats- und Regierungschefs, das demokratische Votum für seine Parteienfamilie zu respektieren und von der Leyen als Kommissionspräsidentin zu bestätigen. Dafür braucht es anders als sonst im Europäischen Rat üblich keine einstimmige Entscheidung, sondern eine qualifizierte Mehrheit.
Scholz drückt aufs Tempo
12 der 27 Staats- und Regierungschefs und -chefinnen am Gipfeltisch zählen zur EVP-Parteienfamilie. Ihre Unterstützung für von der Leyen scheint sicher. Weber hat sich mit ihnen gleich nach der Wahl abgesprochen und wird das vor dem heutigen Abendessen nochmals tun.
Außerdem müssen mindestens drei weitere Mitgliedsstaaten für von der Leyen votieren, deren Führung nicht zur EVP gehört. Dabei geht es etwa um Deutschland oder Frankreich. Bundeskanzler Olaf Scholz kennt die deutsche Kommissionschefin aus gemeinsamen Kabinettstagen und hat mit ihr in den vergangenen Jahren gut zusammengearbeitet. Scholz plädiert für eine rasche Lösung und spricht sich dafür aus, Europas Personalfragen noch in diesem Monat zu klären.
Das dürfte auch im Interesse des französischen Präsidenten sein. Emmanuel Macron hatte zwischendurch Ex-EZB-Präsident Mario Draghi für ein EU-Spitzenamt ins Gespräch gebracht. Nach der Schlappe seines Bündnisses bei der Europawahl hat Macron jetzt aber genug damit zu tun, Parlamentswahlen vorzubereiten. Außerdem war er es, der von der Leyen 2019 für das Amt vorgeschlagen hatte. Eine Gegenstimme im Kreis der 27 scheint sicher: die von Ungarns Regierungschef Viktor Orban.
Nicht nur EVP soll zum Zug kommen
Neben der EVP sollen beim europäischen Personalpoker andere Parteien der politischen Mitte zum Zug kommen. Portugals Ex-Ministerpräsident Antonio Costa, ein Sozialist, könnte Ratspräsident werden. Er wäre als Nachfolger des Belgiers Charles Michel dafür zuständig, die EU-Gipfel zu organisieren und zu leiten. Die liberale estnische Premierministerin Kaja Kallas ist als EU-Außenbeauftragte im Gespräch. Für Kallas spricht der Regionalproporz: Osteuropa beansprucht einen EU-Führungsjob.
Der Parlamentspräsidentenposten könnte wiederum an die EVP gehen: Die maltesische Christdemokratin Roberta Metsola möchte weitermachen. Falls die 27 schnell ein entsprechendes Personalpaket schnüren, könnten sie es beim regulären EU-Gipfel in knapp zwei Wochen formell vorschlagen. Danach ist das Parlament am Zug, um die Kommissionspräsidentin zu wählen. Noch sortieren sich dort die Fraktionen.
Streit um Meloni als "Mehrheitsbeschafferin"
EVP-Fraktionschef Weber, der die Mehrheit für von der Leyen organisieren soll, verhandelt zunächst mit Sozialdemokraten und Liberalen über Personalfragen und inhaltliche Gemeinsamkeiten. Die drei Gruppen kommen zusammen auf 406 Stimmen.
Nötig sind mindestens 361; bei der geheimen Abstimmung wird mit Abweichlern gerechnet. Weber und von der Leyen schließen auch Gespräche mit der ultrarechten Partei "Fratelli d’Italia" der italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni nicht aus.
Für diesen Fall will allerdings die SPD aussteigen. Auch die Grünen haben sich der EVP als Verhandlungspartner angeboten. Ob das EU-Parlament schon in der ersten Sitzungswoche Mitte Juli über die neue Kommissionschefin abstimmen kann ist unklar. Das hängt nicht zuletzt von den Ergebnissen des heutigen Brüsseler Dinners ab.