Maßnahmen zur Sicherheit in der EU "Schengen ist kaputt"
Die Angst, dass die Gewalt in Nahost auch in Europa zu Terror führt, ist groß. In Luxemburg sprechen die EU-Innenminister über Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheitslage.
Am Rande des Treffens mit allen Innenministern der Schengen-Staaten hatten sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und ihr österreichischer Amtskollege Gerhard Karner getroffen. Beide Länder gehören neben Frankreich zu den bevorzugten Zielen vieler Migranten.
Nun soll es nicht nur um verstärkte Grenzkontrollen gehen, sondern auch um Gefahrenabwehr. Die Angst, dass Terror nach Europa getragen wird, nimmt zu. Die Gefahr werde noch größer, wenn sich die Lage in Israel und im Gazastreifen zuspitzt, warnen die Minister.
Zunehmende Grenzkontrollen
"Schengen ist nicht tot, aber Schengen ist kaputt", erklärte der österreichische Außenminister. Die Europäer müssten sich auf verstärkte - und nervige - Kontrollen an den Binnengrenzen einstellen.
Österreich führt diese bereits an den Grenzen zu Tschechien und anderen Nachbarländern durch, Bundesinnenministerin Faeser setzt auch auf dieses Instrument und will die Ausweitung der Grenzkontrollen bei der EU-Kommission beantragen.
EU sagt Schleuserbanden den Kampf an
Im Fokus stehen die Schleuserbanden, die von Ägypten, Tunesien, der Türkei und dann auch von Italien aus operieren. Faeser erklärte, dass inzwischen jeder vierte Migrant, der in Deutschland und Österreich um Asyl suche, durch bezahlte Schleuser nach Europa gekommen sei.
Die Innenminister sehen dadurch Gefahren für die Innere Sicherheit, weil man am Ende nicht wissen könne, "wer da mit welcher Identität kommt und in welchem Alter", warnte Frankreichs Innenminister Gerald Darmanin. Er forderte eine zügige Umsetzung des geplanten neuen EU-Asylsystems mit Aufnahmezentren vor allem an der Außengrenze zum Mittelmeer in Italien.
Außerdem müssten die EU-Regierungschefs mehr Druck auf Staaten wie Tunesien und Algerien machen, Migranten auch wieder zurückzunehmen, wenn sie ihre Landsleute sind, was sich in vielen Fällen auch ohne mitgebrachte Identitätsnachweise belegen lasse.
Hoffnung auf neues Asylsystem
Die Schleuserkriminalität werde stärker bekämpft: "Diese Menschen gehen über Leichen, ihnen sind Menschenleben egal", warnte Bundesinnenministerin Faeser und erinnerte an einen Vorfall vor einigen Tagen mit mehreren Toten in einem Lieferwagen.
Bei der Begrenzung der Migration hoffen die Minister auf eine schnelle Umsetzung des neuen EU-Asylsystems. Terrorgefahren ließen sich dadurch aber nicht ohne weiteres stoppen oder eingrenzen, erklärte EU-Innenkommissarin Ylva Yohansson: "Wir haben es mehr und mehr mit Einzeltätern zu tun, die sich im Internet radikalisieren und in der Illegalität leben".
Kritischer Blick auf Sicherheitspannen
Am Morgen hatte Belgiens Innenministerin Annelies Verlinden ihre Amtskolleginnen und Kollegen mit Details zum jüngsten Brüsseler Anschlag geschockt, die auf drastische Fehlleistungen bei der Überwachung potentieller Gefährder hindeuten.
Der Attentäter von Brüssel, der in dieser Woche am Rande eines EM-Qualifikationsspiel in der Brüsseler Innenstadt zwei schwedische Fußballfans erschossen und einen dritten schwer verletzt hatte, hätte sich seit vier Jahren nicht mehr in Belgien aufhalten dürfen. Viermal habe er in verschiedenen EU-Staaten Asyl beantragt, er sei als Tunesier abgelehnt worden und war seit 2019 ausreisepflichtig. Doch die Polizei habe ihn nicht mehr an seiner letzten Adresse antreffen können. Er war abgetaucht.
"Null Toleranz" bei pro-palästinensischen Demonstrationen
Sorgen bereitet den Ministern auch die Lage auf den europäischen Straßen - pro-palästinensische Demonstrationen würden für Hamas-Propaganda missbraucht. Ab sofort soll hier "Null Toleranz" gelten. Jüdische Einrichtungen und Bürgerinnen und Bürger sollen besser geschützt werden. Polizei und nationale Geheimdienste sind zu höchster Wachsamkeit aufgerufen.
Im Fall des Brüsseler Attentäters waren Geheimdienst-Warnungen aus Italien offenbar nicht ernst genommen worden - man habe damals auf dem Höhepunkt der Migrationswelle 2015/2016 Tausende derartiger Meldungen erhalten, die man gar nicht hätte nachprüfen können.
WIe umgehen mit zahlreichen Gefährder-Warnungen?
Wie das heute anders gemacht werden soll - bei dieser Frage blieben die EU-Minister aber noch eine klare Antwort schuldig. Zumindest sollen Gefährder-Warnungen nicht mehr so einfach übersehen werden - und ernster genommen werden.
Die schiere Masse der Informationen über potentielle Gefährder, die jetzt wieder auf die Sicherheitsbehörden Europas einströmen, beunruhigt Frankreichs Innenminister Darmanin: "Seit dem Angriff der Hamas haben wir innerhalb weniger Tage weit mehr als 100 Meldungen über Straftaten, die mit Antisemitismus oder Islamismus zu tun hatten. Ein Viertel davon waren Ausländer. Ich werde dafür sorgen, dass ihnen ihre Aufenthaltsgenehmigungen entzogen werden".
Die Angst, dass die Gewalt in Nahost zu Terror in Europa führt, ist groß. Nun soll genau hingeschaut werden, wer kommt. Die Hoffnungen liegen im neuen EU-Asylsystem. Und auch Herkunftsländer sollen stärker unter Druck gesetzt werden, Migranten wieder zurückzunehmen. Gleichzeitig nimmt die Debatte über sichere Herkunftsstaaten wieder Fahrt auf.