Einigung der EU-Fraktionsspitzen Nach zähem Ringen steht die neue Kommission
Es war ein Machtkampf, der mit vielen Zugeständnissen endete: Die EU-Fraktionsspitzen haben sich auf eine neue Kommission geeinigt. Anfang Dezember kann sie mit ihrer Arbeit beginnen.
Bei der Besetzung einer neuen EU-Kommission hat das EU-Parlament Gelegenheit, seine Macht zu demonstrieren: Die zuständigen Parlamentsausschüsse entscheiden, ob Anwärterinnen und Anwärter das Zeug zur Kommissarin oder zum Kommissar haben - oder nicht.
Die Anhörungen wurden vor einer guten Woche abgeschlossen. Aber die Frage, ob die Kandidatinnen und Kandidaten fachlich geeignet sind, geriet zuletzt zur Nebensache. Fast alle designierten Kommissarinnen und Kommissare sind weitgehend reibungslos durchgekommen. Aber um drei Personen entbrannte ein Machtkampf, der schließlich nur durch eine Paketlösung beendet werden konnte.
Die haben die Fraktionsvorsitzenden der christdemokratischen EVP sowie von Sozialdemokraten und Liberalen nach tagelangem Tauziehen erreicht. Damit kann die neue Kommission nach der Schlussabstimmung im EU-Parlament kommende Woche wie geplant Anfang Dezember ihre Arbeit aufnehmen.
Gegenseitige Blockade der Parteien
Sozialdemokraten, Liberale und Grüne sperrten sich dagegen, dass der Italiener Raffaele Fitto einen Schlüsselposten als geschäftsführender Stellvertreter von Kommissionschefin Ursula von der Leyen bekommt. Fitto soll außerdem für die Regionalförderung zuständig sein - und damit für einen der größten Fördertöpfe der EU. Er gehört der ultrarechten Partei Fratelli d'Italia von der italienischen Regierungschefin Georgia Meloni an. Die EVP unterstützt ihn, weil Italien ein wichtiger Kommissionsposten zustehe.
Widerstand gab es auch gegen den ungarischen Kandidaten Oliver Varhelyi. Er hat zwar seine Anhörung souverän überstanden, musste aber zusätzlich schriftliche Fragen beantworten. Varhelyi hat sich durch Alleingänge unbeliebt gemacht und Abgeordnete provoziert.
Ribera erntet Kritik für Umgang mit Flut in Valencia
Im Gegenzug blockierte die EVP die Berufung der spanischen Sozialdemokratin Teresa Ribera zur Kommissionsvizepräsidentin, zuständig für den grünen Wandel und den wichtigen Bereich Wettbewerb. Zu ihren Aufgaben gehört es, Technologiekonzerne zu zügeln und Wettbewerbsstrafen gegen Kartelle zu verhängen. Vor allem spanische Christdemokraten machten Ribera, die noch spanische Ministerin für ökologischen Wandel ist, mitverantwortlich für Versäumnisse der Behörden im Umgang mit der verheerenden Flutkatastrophe in der Provinz Valencia mit über 200 Toten. Die EVP machte Riberas Auftritt bei der Fragestunde im spanischen Parlament am Mittwoch zur Bedingung für ihre Bestätigung.
Wegen des Streits der drei Fraktionen war auch die Einsetzung der übrigen Vizepräsidentinnen und -präsidenten blockiert, unter ihnen die designierte EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas.
Kooperations-, aber nicht Koalitionsvertrag
Eine Verständigung wurde möglich, weil beide Lager ihren Widerstand gegen die Kandidatinnen oder Kandidaten der jeweils anderen Seite aufgaben. Teil der Einigung ist auch eine Kooperationsvereinbarung zwischen EVP, Sozialdemokraten und Liberalen. Darin heißt es unter anderem: "Rechtsstaatlichkeit, eine proukrainische Haltung und ein proeuropäischer Ansatz sind zentrale Aspekte unserer Zusammenarbeit." Auch inhaltliche Schwerpunkte wie Wettbewerbsfähigkeit, Verteidigung und Migrationspolitik werden aufgeführt, allerdings in deutlich kürzerer Form als ein deutscher Koalitionsvertrag.
Verbindlich sind die Vorgaben nicht. Ohnehin bilden sich im EU-Parlament je nach Abstimmungsthema wechselnde Mehrheiten. Sozialdemokraten und Liberale argwöhnten, dass die EVP auch gemeinsame Sache mit den Rechtsaußen-Fraktionen machen könnte. Das Ergebnis der Europawahl bringt die Christdemokraten in eine komfortable Position: Die Mehrheitsverhältnisse haben sich so geändert, dass links von ihrer Fraktion keine Mehrheit mehr möglich ist, um Beschlüsse gegen sie durchzusetzen.
Zäher Machtkampf der Fraktionen
Beide Seiten mussten Zugeständnisse machen: Die Sozialdemokraten akzeptieren Fitto auf einem herausgehobenen Posten, die Christdemokraten lassen Ribera passieren und stimmen einer Kooperationsvereinbarung zu, die sie bisher ablehnten. Die Grünen nennen die Einigung eine Farce.
Aber die Jubelrufe von Europa-Abgeordneten über die Anhörungen der Kommissarsanwärter und -anwärterinnen als vermeintliche "Sternstunde des Europäischen Parlaments" sind mittlerweile verstummt. Tatsächlich haben sich die Fraktionen in einen zähen Machtkampf verstrickt und damit tagelang die Handlungsfähigkeit der neuen Kommission in Frage gestellt, während im Rest der Welt Donald Trump zum US-Präsidenten gewählt wurde, in Berlin die Ampelkoalition zerbrach und die Ukraine vor dem dritten Kriegswinter bangt.