Eine junge Frau liegt schlafend in einem Bett, neben ihr auf dem Nachttisch ein silberner Wecker.

Test an dänischen Schulen Wenn der Wecker eine Stunde später klingelt

Stand: 21.08.2024 14:19 Uhr

Fittere Schüler und entspanntere Lehrkräfte - und das dank rund einer Stunde mehr Schlaf. Rund 20 Schulen in Dänemark testen den späteren Schulstart. Ein Besuch in einer der Spätaufsteher-Schulen.

Von Julia Wäschenbach, ARD Stockholm

Bei der 13-jährigen Lina aus Kopenhagen klingelt der Wecker seit einem Jahr deutlich später. Denn die Siebtklässlerin muss nicht mehr um 8 Uhr, sondern erst um 9.15 Uhr in die Schule gehen. Und nicht nur sie.

Die meisten Jugendlichen an der Taastrup Realskole dürfen sich morgens noch einmal umdrehen, wenn alle anderen schon auf dem Weg zum Unterricht sind. Denn die Jahrgänge sieben bis neun der Schule testen spätere Anfangszeiten.

Lina ist, wie fast alle ihrer Klassenkameraden, begeistert: "Ich finde das super mit dem späteren Unterrichtsbeginn, weil man länger ausschlafen kann. Ich kann mich dadurch in der Schule besser konzentrieren und lerne mehr."

"Nicht gestresst, müde und muffelig"

Nicht nur die Schülerinnen und Schüler schwärmen von dem neuen Konzept. Früher, erzählt Schulleiter Kennet Hallgren, sei die erste Stunde oft zäh gewesen. Körperlich seien die Teenager da gewesen, im Kopf hätten sie noch geschlafen, auch für Lehrkräfte anstrengend.

Heute sehe das ganz anders aus. "Sie sind viel ausgeruhter, wenn sie in die Schule kommen - nicht gestresst, müde und muffelig. Sie reden besser und freundlicher miteinander. Das schafft einen angenehmeren Unterricht."

Der Eindruck ist nicht aus der Luft gegriffen - und die Taastrup Realskole ist nicht die einzige Schule, die Jugendlichen morgens mehr Schlaf gönnt. Rund 20 Schulen in Dänemark experimentieren derzeit mit dem späteren Unterrichtsbeginn. Sie berufen sich auf Studien, die sagen: Der Hormonhaushalt Jugendlicher ist schuld, dass sie später einschlafen und morgens länger brauchen, um wach zu werden.

Cortisol wird später ausgeschüttet

Forscherin Cathrine Wimmelmann vom Zentrum für Kindergesundheit in Kopenhagen erklärt: "Bevor wir aufwachen, schütten wir Cortisol aus - ein Stresshormon, um uns aufzuwecken und uns startklar für den Tag zu machen. Bei Teenagern wird dieses Hormon später ausgeschüttet."

Die Schlussfolgerung: Das jugendliche Gehirn funktioniert besser, wenn es erst später am Tag aktiv werden muss. Am Nachmittag länger bleiben müssen die Schülerinnen und Schüler zumindest an der Taastrup Realskole deshalb nicht.

Stattdessen übernehmen öfter einmal zwei Lehrkräfte den Unterricht, wie Schulleiter Hallgren berichtet. Die Schülerinnen und Schüler würden dasselbe lernen, aber in kürzerer Zeit.

Und obwohl sie eine Stunde und 15 Minuten später anfangen würden, hätten sie zur selben Zeit frei wie früher. "Wir haben damit wirklich nur gute Erfahrungen gemacht. Die Kinder sind froh, die Lehrer, und die Eltern auch. Und unsere Erhebungen zeigen, dass sie durch die kürzere Unterrichtszeit nicht weniger lernen. Aber es geht ihnen viel besser, und das ist das Entscheidende für uns", sagt Hallgren.

 

Selbstständiger durch späteres Weckerklingeln

Möglich ist das aber auch, weil die Schule in Taastrup eine Privatschule ist. Öffentliche Schulen dagegen dürfen in Dänemark nicht einfach so den Unterrichtstag verkürzen. Den späteren Start testen einige öffentliche Schulen ab diesem Schuljahr aber auch.

Nicht alle sind begeistert von dem Experiment, auch das gibt Rektor Hallgren zu: "Es gab ein paar Eltern - nicht viele - die sich Sorgen gemacht haben, dass die Kinder morgens selbst aufstehen und frühstücken müssen, weil die Eltern um die Zeit schon bei der Arbeit sind."

Aber auch dem kann Hallgren etwas Positives abgewinnen. Denn so lernten die Jugendlichen Selbstständigkeit, sagt er: "Ein schöner Nebeneffekt ist, dass wir morgens weniger Autos an der Schule sehen, weil die Schülerinnen und Schüler nicht mehr gebracht werden, sondern selbst zur Schule kommen müssen - Rad fahren, den Zug oder Bus nehmen."

Taastruper Schule will Konzept vorerst beibehalten

Zwei Jahre will die Taastrup Realskole das Experiment auf jeden Fall noch fortführen. Aber Schulleiter Hallgren traut sich schon jetzt eine längerfristige Prognose. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir diese Entscheidung noch einmal rückgängig machen. Ich glaube, wir behalten das bei, weil es richtig gut zu funktionieren scheint. Besonders in Bezug darauf, wie es den Schülerinnen und Schülern geht und wie sie miteinander umgehen. Und das ist ja eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür, dass sie etwas lernen."

Zumindest in Taastrup wird der Wecker also auch in Zukunft bei vielen Teenagern später klingeln.