Memoiren von Ex-Premier Johnson "70 Seiten hätten auch gereicht"
Keine anderthalb Jahre nach seinem Rücktritt als britischer Premier bringt Boris Johnson seine Memoiren auf den Markt. Viel Erhellendes bergen die mehr als 700 Seiten nicht, dafür falsche Behauptungen und krude Anekdoten.
Die "Partygate"-Affäre war nur aufgeblasen, während der Corona-Pandemie hat er alles richtig gemacht, der Brexit war eine gute Entscheidung und hätten die Tories ihn nicht vom Hof gejagt, hätte er in diesem Jahr die Wahlen gewonnen.
Der Leser und die Leserin kann viel lernen bei der Lektüre der Memoiren von Boris Johnson. Auch, dass der ehemalige britische Premierminister nichts gelernt hat. Viele Punkte halten einem Faktencheck nicht stand. Das Buch über seine politische Karriere mit dem Titel "Unleashed" wird an diesem Donnerstag im Vereinigten Königreich veröffentlicht.
Seit Tagen gibt Johnson Interviews, werden Details aus dem Buch abgedruckt. Es gibt in dem Werk ein paar abstruse Anekdoten, aber auch viele langatmige Passagen eines dünnhäutigen Mannes, der sich verteidigt und zurück in die Politik will.
Arbeit am eigenen Denkmal
Das Buch ist eine wirkliche Überraschung. Der Mann, der mit seiner populistischen Politik Westminster aufmischte, der bei der Wahl 2019 so viele Stimmen bekam, weil er nicht so konventionell wirkte wie andere, sondern anders, frisch, witzig - er hat ein langweiliges Buch geschrieben, wie so viele Politiker vor ihm. "Es ist umfangreich, extrem öde. 70 Seiten hätten auch gereicht", sagt Ian Dunt, Journalist für die Zeitung i-Paper, Buchautor und Politikexperte.
Objektiv betrachtet - egal ob man Boris Johnson gut finde oder nicht - sei dieses Buch einfach schlecht geschrieben, so Dunt weiter. Und Neuigkeiten oder Erhellendes über das Bekannte hinaus stünden nicht drin, in dem Wälzer der mehr als 700 Seiten hat. Es sei eine Rechtfertigungsschrift, eine Arbeit am eigenen Denkmal.
Falschaussagen rund um die Corona-Pandemie
Der Brexit sei richtig gewesen, heißt es in den Memoiren. Nur wegen des EU-Austritts hätten im Vereinigten Königreich die Bewohnerinnen und Bewohner schneller gegen das Coronavirus geimpft werden können, wie Johnson gerade erst in einem der zahlreichen Interviews zum Erscheinen des Buches bekräftigte.
Dieser Punkt ist jedoch längst widerlegt: Erstens war Großbritannien während der Pandemie noch an europäische Regeln gebunden und zweitens gibt es das Recht nicht, dass EU-Mitgliedsstaaten aus der gemeinsamen Arzneimittelzulassung ausscheren.
Selbstgefälligkeit statt Einsicht
Es gibt keine Worte der Entschuldigung in dem Buch angesichts von "Partygate". In der Pandemie habe er alles richtig gemacht - dieses Bild zeichnet Johnson in seinen Memoiren. Trotz der vielen Toten und dem Vorwurf, er hätte den Lockdown einfach nur früher anordnen müssen. Dann hätte er auch nicht so lange andauern müssen.
Angesichts dieser Selbstgefälligkeit muss Johnson sich in den Talkshows einiges anhören. Matt Chorley von der BBC fasst zusammen, warum Johnson zurücktreten musste: "Sie kannten die Details in vielen Vorgängen nicht. Sie argumentierten so, handelten aber in die andere Richtung." Irgendwann hätten die konservativen Abgeordneten dann das Vertrauen verloren.
Anekdoten für den Pub
Johnson wäre nicht er, wenn da nicht noch ein paar Anekdoten wären in seinem Buch. Die zum Beispiel, dass er offenbar darüber nachgedacht habe, mit einer Spezialeinheit in den Niederlanden in ein Lager einzudringen, um dort festgehaltene Impfstoffe rauszuholen. Ein NATO-Mitglied überfällt ein anderes. Aber es ist halt eine Story, eine Anekdote für den Pub.
"Er ist unzuverlässig als Erzähler. Die Geschichten sind lügnerisch zusammengetragen, sodass man denkt: Das kann nicht wahr sein", sagt der Journalist Dunt. Was er meint: Die Geschichte, die Niederlande zu überfallen, mag Johnson als Witz abends im Büro einem Berater erzählt haben, aber er hat es eben nicht gemacht. Und so zielt Johnson vor allem auf den Effekt einer aus seiner Sicht tollen Geschichte.