Belgien Mutterschutz und Rente - auch für Sexworker
Belgien ist seit Dezember das erste Land, in dem Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter Rechte wie etwa Mutterschutz oder Rente genießen dürfen. Wie wirkt die neue Gesetzgebung in der Szene? Kathrin Schmid hat sich umgehört.
Viele Sexarbeiterinnen in Belgien sehen ihre Arbeit seit rund zwei Wochen in einem anderen Licht: "Vorher hatten wir kaum Rechte", berichtet Mel, die nur ihren Vornamen in den Medien lesen will. "Wenn man zum Beispiel krank wurde, schwanger und dann Mutter. Oder denken wir an Corona, wo auf einmal alles zusammenbrach."
Jetzt gebe es endlich das Gesetz und sie hätten so das Recht auf Unterstützung vom Staat. "Das bedeutet bezahlte Urlaubs- und Krankheitstage, Rente und Mutterschutz."
Die Sexarbeiterin aus Brüssel ist durchaus stolz wenn sie feststellt: Belgien ist das erstes Land weltweit, das ein umfassendes Arbeitsgesetz für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter beschlossen hat. Mit großer Mehrheit ging es im Frühjahr durchs Parlament, seit Dezember ist es in Kraft.
Sicherheit der Sexarbeitenden
Wer volljährig ist, kann demnach einen entsprechenden Arbeitsvertrag unterschreiben und hat damit jetzt Zugang zur Sozialversicherung. Auch Arbeitszeiten, Bezahlung und Sicherheitsmaßnahmen sind darin geregelt.
Arbeitgeber seien nun etwa dazu verpflichtet, in jedem Zimmer einen Alarmknopf zu installieren oder den Mitarbeitenden ein Alarmgerät mitzugeben, wenn diese außer Haus arbeiteten, erklärt Mel, "die können wir nutzen, wenn wir uns aus irgendeinem Grund unsicher fühlen".
Kontrolle möglich
Ein Meilenstein aus Sicht von Daan, Vorstandsmitglied von UTSOPI, eine Organisation, die die Anliegen von Sexarbeitenden vertritt: "Entscheidend ist: Der Job wird jetzt reguliert und kann von der Arbeitsaufsicht kontrolliert werden, genau wie jeder andere Beruf in diesem Land." Das stärke die Position der Sexarbeiterinnen, zum Beispiel gegenüber den Bordellbesitzern.
Und mit dem Gesetz gibt es formal keinerlei Diskriminierung mehr zwischen Sexarbeiterinnen und anderen Arbeitnehmern. Das ist weltweit einzigartig.
"Wir sagen: Sexarbeit ist Arbeit. Das aber bedeutet nicht, dass wir denken, es ist ein Beruf wie jeder andere - so ist das nicht", betont Daan Der Beruf bringe besondere Risiken mit sich, und die Frauen und Männer, die den Beruf ausüben, müssten vor diesen Risiken geschützt sein.
Anreiz in Festanstellung zu gehen
20.000 bis 30.000 Sexarbeitenden gibt es - je nach Schätzungen - in Belgien. Profitieren von dem neuen Gesetz würden nur die, die sich festanstellen lassen wollen. Bisher tut das wohl maximal ein Drittel. Sie habe bereits von mehreren gehört, die sich für diesen Status entscheiden werden, erzählt Sexworkerin Mel.
Manch eine möchte aber auch weiterhin eine Art Anonymität bewahren und nicht in staatlichen Datenbanken "gelistet" sein. Sich legal in Belgien aufzuhalten sei außerdem eine Bedingung - und das treffe natürlich nicht auf alle zu, die in der Branche arbeiten.
Fest steht, es gibt nun mehr Anreize sich für eine Festanstellung. Etwa das verankerte Recht, Kunden abzulehnen oder Praktiken abzulehnen, die diese einfordern. Und dabei sicher zu sein, dass man trotzdem nicht den Job verliert. Außerdem können Sie jederzeit kündigen und anschließend Sozialleistungen wie jede andere Arbeitnehmerin beziehen.
Ein weiterer wichtiger Punkt sei, so Daphné, Projektleiterin bei der Organisation UTSOPI, dass Arbeitgeber nachweisen müssen, straffrei zu sein: "Sie dürfen zum Beispiel keine Vorstrafen haben, nicht wegen Menschenausbeutung oder Menschenhandel oder dergleichen verurteilt sein." Das mache es für Leute, die Sexarbeiterinnen ausbeuten wollen, etwas schwieriger.
Großer Schritt für Belgien
Belgien entkriminalisiert die Sexarbeit seit zwei Jahren, ähnlich wie es Neuseeland bereits im Jahr 2003 als weltweit erster Staat vorgemacht hat. Belgien schreitet damit in Europa voran. Denn bis 2022 war Sexarbeit auch in Belgien lediglich legalisiert, wie etwa in Deutschland und den Niederlanden.
Dabei gibt es einen entscheidenden Unterschied: Bei Entkriminalisierung genießen Sexarbeitende grundsätzlich den vollen Schutz des Gesetzes. Die Legalität hingegen ist an Bedingungen geknüpft. Personen müssen sich als Prostituierte anmelden. Dies ist aber vielen auf Grund von familiärem Druck, finanziellen Engpässen oder sprachlichen und praktischen Hürden nur schwer möglich.
Wandel in den Köpfen
Mit Einführung der neuen Arbeitsrechte kommt noch ein Wandel in den Köpfen dazu, meint die Brüsseler Sexworkerin Mel, die mit der Organisation UTSOPI auch Aufklärungsvideos dreht, etwa zur Schulung von medizinischem Personal, wenn es um das Thema sexualisierte Gewalt geht.
Man werde anders gesehen und erfahre mehr Anerkennung, zum Beispiel auf TikTok: "Die Leute sehen es jetzt noch mehr wie einen Job. Und so sollte es auch sein."
Auch in Belgien müsse man damit rechnen, dass es in der Branche weiterhin zu Missbrauch, Zwang und unmenschlichen Zuständen kommen kann, das sagen auch die Gewerkschaften.
Aber Fakt bleibt: Kein anderes Land derzeit hat so umfassenden Arbeitsschutzbestimmungen und tut damit so viel im Kampf gegen Ausbeutung und Missbrauch in der Sexworker-Branche.