Ein Mann hält ein Mobiltelefon mit pornografischen Bildern.
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Ausbeutung Zwangsprostitution zunehmend digital

Stand: 25.02.2024 18:02 Uhr

Die Covid-Pandemie hat Prostitution und Sexarbeit in Deutschland nachhaltig verändert: immer mehr Abläufe finden online statt. Für Beratungen und Ermittler wird es dadurch schwieriger, jenen zu helfen, die sexuell ausgebeutet werden.

Von Daniel Drepper, Catharina Felke, Nadja Mitzkat und Palina Milling, NDR/WDR

Astrid Fehrenbach leitet die Beratungsstelle "Amalie" in Mannheim, die sich seit mehr als einem Jahrzehnt um Frauen in der Prostitution kümmert. Seitdem haben sie und ihre Kolleginnen den Kontakt ins Rotlichtmilieu aufgebaut und sich das Vertrauen der Frauen erarbeitet. Doch seit der Covid-Pandemie wird die Prostitution in Mannheim immer stärker digital organisiert.

"Das ist eine Riesenherausforderung." Bordelle würden allmählich an Bedeutung verlieren, viele Frauen würden nun alle paar Tage den Standort und die Stadt wechseln und hätten damit auch seltener Kontakt zur Außenwelt. "Durch den ständigen Wechsel wird es immer schwieriger, einen Kontakt aufzubauen. Wir stellen fest, dass viele Frauen den Zuhältern ausgeliefert sind."

Fehrenbach und ihre Kolleginnen haben auf die Situation reagiert. Die Frauen würden nun vermehrt digital angesprochen, auch in jenen Foren, in denen sie ihre Dienste anbieten. Doch der direkte Kontakt zu den Frauen, der oftmals die einzige Chance zum Ausstieg aus dem Milieu sei, sei heute erschwert. "Vermutlich auch, weil wir über die angegebenen Handynummern eher nicht die Frauen erreichen, sondern die Zuhälter."

Verschiebung ins Dunkelfeld

Die Digitalisierung des Menschenhandels zur sexuellen Ausbeutung stellt nicht nur Astrid Fehrenbach vor Probleme, sondern Fachberatungen in ganz Deutschland. Einige versuchen ihre aufsuchende Arbeit daher wie "Amalie" in Mannheim auch online anzubieten, doch es ist schwer, der neuen Situation gerecht zu werden.

Das legen Dutzende Gespräche mit Betroffenen, Beratungsstellen, Gesundheitsämtern, Staatsanwaltschaften und Ermittlungsbehörden nahe, die Reporterinnen von NDR, WDR und "Süddeutsche Zeitung" in den vergangenen Monaten geführt haben. Nicht immer ist eine klare Trennung zwischen sexueller Ausbeutung und Sexarbeit zu ziehen, letztere ist in Deutschland legal, sofern sie freiwillig erfolgt. 

In den Recherchen wurde jedoch deutlich, dass die Digitalisierung beide Bereiche nachhaltig verändert, und dass die Corona-Pandemie diese Entwicklung deutlich beschleunigt hat. Dass sexuelle Dienste zunehmend im Netz angeboten werden, ist dabei nur eine Entwicklung, die Expertinnen beobachten. Gleichzeitig findet Sexarbeit immer öfter in Privatwohnungen und Hotels statt.

Zielland Deutschland

Dabei wird das Internet auch immer wichtiger, was die Anwerbung von Frauen betrifft. Bereits 2022 stellte eine Studie im Auftrag des Bundesweiten Koordinierungskreises gegen Menschenhandel (KOK) fest, dass Menschenhändler das Internet in jeder Phase des Ausbeutungsprozesses nutzen. Täter werben neue Opfer demnach über soziale Medien und Webseiten an, mithilfe von Messenger-Diensten organisieren sie Logistik und Transport.

Sie kontrollieren und überwachen Betroffene rund um die Uhr über das Smartphone, senden ihnen Drohnachrichten, erpressen sie mit Nacktaufnahmen - auch um sie an Aussagen bei der Polizei zu hindern. "Es findet fast keine sexuelle Ausbeutung ohne das Internet statt", sagt Nenad Naca, Leiter der Abteilung Menschenhandel bei Europol.

Die Recherchen stützen diese Annahme. Eine Auswertung von mehr als 45.000 Online-Inseraten macht deutlich, dass Frauen gezielt über Online-Anzeigen für die Prostitution angeworben werden. Die Anzeigen, die NDR, WDR und "Süddeutsche Zeitung" gemeinsam mit internationalen Medien wie "Pointer" aus den Niederlanden, "Direkt36" aus Ungarn und dem "Tages-Anzeiger" aus der Schweiz, analysiert haben, stammen von 33 Webseiten aus mehreren osteuropäischen Ländern aus den vergangenen zwei Jahren.

Unrealistische Versprechen

Sie fanden sich sowohl auf den Internetseiten von regionalen Zeitungen, internationalen Jobbörsen als auch in einschlägigen Portalen. Sie richten sich oft an Frauen in Ungarn, Rumänien, Bulgarien oder Polen und werben für Tätigkeiten in Deutschland. 

Die Aufmachung mancher Texte und die angegebenen Kontaktdaten legen dabei den Verdacht nahe, dass dahinter auch Agenturen stehen, die sich über Grenzen hinweg professionell organisieren.

Die Anzeigen klingen teilweise inhaltlich identisch: Man suche nach "hübschen, anspruchsvollen Mädchen", helfe bei Behördengängen, biete "absolute Diskretion, Sicherheit und Sauberkeit", "zahlungskräftige Stammgäste", "sehr gute Arbeitsbedingungen" und vor allem sehr viel Geld. Die Spanne der versprochenen Gewinne reicht dabei von mehreren hundert bis zu einigen tausend Euro pro Tag. Manche Anzeigen versprechen sogar mehrere Millionen Euro im Monat und eine kostenlose Unterkunft.

Mit der Realität hat das oft nichts zu tun. Das bestätigen mehrere Sexarbeiterinnen in Gesprächen, so sei es absolut unrealistisch, dass die Unterkunft gratis sei oder die Frauen den kompletten Verdienst behalten können. In manchen Häusern könne man die Bettwäsche sogar nur einmal am Tag wechseln, man müsse nach dem Arbeitsende noch sauber machen, aufräumen, den Müll wegbringen und die Badeschlappen der Freier desinfizieren.

Vielen Fachberatungsstellen ist diese Form der Anwerbung auf Anfrage nicht bekannt, manche sagen, über derartige Anzeigen würde vielleicht ein Viertel aller Frauen angeworben, andere sprechen gar von der Hälfte. Hinter wie vielen dieser Anzeigen tatsächlich sexuelle Ausbeutung steht, ist unklar. Das Bundeskriminalamt stellte jedenfalls fest, dass 2022 etwa ein Drittel der Opfer von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung aus Bulgarien, Rumänien und Ungarn kamen, gefolgt von 28 Prozent aus Deutschland.

Zentrale Bedeutung von Facebook

Auch eine vergleichsweise alte Onlineplattform ist dabei nach wie vor präsent: Facebook. Fachberatungsstellen erzählen, dass junge Frauen gerade auch über Facebook angeschrieben würden, mit dem Ziel, sie sexuell auszubeuten.

Die Frauen kämen häufig aus Ungarn oder Rumänien, hätten finanzielle Probleme oder wünschen sich eine bessere Zukunft. Maria, heute 24 Jahre alt, hat diese Erfahrung gemacht. Über Facebook erhielt sie eine Freundschaftsanfrage von Cornell, die beiden schrieben sich Nachrichten, sie vertraute ihm bald ihre Sorgen an, er sprach von Liebe.

Zwei Wochen später holte er sie aus Rumänien ab, um gemeinsam nach München zu fahren, dann ging alles sehr schnell. Cornell war aggressiv, er sperrte Maria in eine Wohnung ein und drohte ihr: "Du prostituierst dich jetzt, sonst werfe ich dich aus dem Fenster." Beide Namen haben wir zum Schutz von Maria und ihrem Umfeld geändert. Die 24-Jährige sagt heute: "Ich habe mich auf keinen Fall als Betroffene von Menschenhandel gesehen. Mir war nur bewusst, dass ich betrogen wurde."

Auch Ermittlungsbehörden bestätigen die Bedeutung von Facebook zu Anwerbungszwecken. Auf Anfrage verweist Meta, dem die sozialen Netzwerke Facebook und Instagram gehören, auf die eigenen Richtlinien zu menschlicher Ausbeutung und sexuellem Missbrauch und schreibt: "Menschenhandel ist furchtbar und ist auf den Meta-Plattformen nicht erlaubt."

Gesetz soll bis 2025 evaluiert werden

Die Arbeitsbedingungen von Sexarbeitenden zu verbessern, indem Bordelle stärker kontrolliert werden, war eines der Ziele des Prostituiertenschutzgesetzes von 2017. Ein anderes, jene, die sexuell ausgebeutet werden, durch regelmäßige Kontrolltermine bei Gesundheits- und Ordnungsämtern schneller zu erfassen, um ihnen zu helfen. Ein grundlegendes Problem bleibt jedoch unberührt: Oft hängen Ermittlungen in Deutschland von der Aussagebereitschaft der Betroffenen ab.

Dabei existieren längst internationale Abkommen wie die Cybercrime-Konvention, die elektronische Beweismittel erlauben. "Bei Strafverfolgungsbehörden, vor allem bei der Polizei, sehen wir, es klemmt vor allem an den Ressourcen", sagt Dorothea Czarnecki, Autorin der KOK-Studie zur Digitalisierung des Menschenhandels. Das Internet als Tatraum anzuerkennen, würde dann auch Betroffene entlasten.

Nadja Mitzkat, NDR, tagesschau, 25.02.2024 18:46 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR in der Sendung "NDR Info" am 26. Februar 2024 um 21:45 Uhr.