Umkämpfte Stadt im Osten Wie in der Ukraine über Bachmut diskutiert wird
Bachmut im Osten der Ukraine ist seit mehr als einem halben Jahr heftig umkämpft. Präsident Selenskyj will die Stadt weiter verteidigen - trotz hoher Verluste. Wie wird das in der ukrainischen Öffentlichkeit diskutiert?
Es seien viele falsche Informationen im Umlauf, er wolle bei diesen Themen ehrlich sein - so beginnt Präsident Wolodymyr Selenskyj seine Videoansprache. Er spielt damit wohl auf Medienberichte an, nach denen es bei führenden Militärs unterschiedliche Sichtweisen darüber gibt, wie die Ukraine in Bachmut weiter vorgehen soll.
In der Ukraine wird schon länger über ein schwieriges Verhältnis zwischen Selenskyj und dem Oberkommandierenden Walerij Saluschnyj gesprochen. Die "Bild"-Zeitung hatte gestern berichtet, dass Saluschnyj einen Abzug aus Bachmut wolle. Und auch der US-amerikanische Verteidigungsminister Lloyd Austin hatte gestern gesagt, dass er einen Abzug nicht für einen "bedeutenden strategischen Rückschlag" halte. Das lässt sich so interpretieren, dass er einen Rückzug für richtig halten könnte.
Selenskyj: Generäle gegen Abzug
Er habe sich gestern mit Saluschnyj und dem Befehlshaber des Heeres, Oleksandr Syrskyj, ausgetauscht, so Selenskyj, und sie gefragt: "Sollten wir uns zurückziehen oder sollten wir die Verteidigung fortsetzen und die Stadt verstärken?" Beide Generäle hätten geantwortet: "Sich nicht zurückzuziehen und verstärken."
Auch die sogenannte Stavka steht laut Selenskyj hinter der Entscheidung - eine höchstrangig besetzte Runde, der unter anderem Spitzen des Militärs, Vertreter der Regierung und des Geheimdienstes angehören. Die Streitkräfte würden auch weiterhin jeden Teil der Ukraine verteidigen, so Selenskyj.
Medienberichte sprechen von verheizten Soldaten
Das allerdings hat seinen Preis. Nach übereinstimmenden Medienberichten muss die Ukraine ihre besten Einheiten aufbieten, um den ständigen Attacken von der russischen Seite Herr zu werden. Das Onlineportal "Kyiv Independent" berichtete von ukrainischen Soldaten, die sich - sinngemäß - verheizt fühlen würden, da sie zum Beispiel nicht ausreichend gepanzerte Fahrzeuge hätten.
Russland schickt in Bachmut offenbar vor allem Wagner-Söldner an die vorderste Front - ohne Rücksicht auf Verluste. Der Feind versuche weiter, die Stadt einzukesseln, so der Presseoffizier Mykyta Shandiba, im ukrainischen Fernsehen. Bisher aber ohne Erfolg.
Abnutzungskrieg läuft weiter
"Es ist hart", sagt er. "Feindliche Angriffe passieren die ganze Zeit. Der Feind versucht, unsere Stellungen einzunehmen, kleine Gruppen unternehmen diese Angriffe." In den vergangenen Tagen seien diese Gruppen größer geworden, jeweils 30 Leute versuchten, die Verteidigungslinien zu durchbrechen. "Das haben sie bisher aber nicht geschafft", so Shandiba. Und das sollen sie dank der Verstärkungen auch künftig nicht schaffen.
Welche Gründe die ukrainische Militärführung antreiben, Bachmut zu halten - darüber schweigt sie sich wohl aus militärtaktischen Gründen aus. In den Medien werden heute Militärexperten gefragt, wie sie die Entscheidung interpretieren. Doch das fällt vielen schwer. "Bachmut zu verlassen, schien ein vernünftiger Schritt zu sein", sagt Serhij Hrabskyj, Oberst im Ruhestand. "Aber Sie und ich operieren nur mit öffentlich zugänglichen Informationen. Auf jeden Fall ist die Entscheidung gefallen, und wir Militärs müssen uns an sie halten und umsetzen.“
In Bachmut läuft der Abnutzungskrieg also weiter. Und ein Ende ist nicht in Sicht.