Schelewa zieht Kandidatur für EU-Kommission zurück Gefangen im "Inkompetenzproporz"
Nach tagelanger Kritik aus dem europäischen Parlament hat Rumjana Schelewa aufgegeben. Die Bulgarin sollte Kommissarin für humanitäre Angelegenheiten werden. Der EU droht jetzt ein wochenlanger Stillstand: Solange keine Nachfolgerin nominiert ist, kann die Kommission ihre Arbeit nicht aufnehmen.
Von Martin Durm, ARD-Hörfunkstudio Straßburg
Ziemlich chaotisch wirkte das alles in den Fluren des Europäischen Parlaments: Aufgeregte, aufgewühlte Abgeordnete wussten selbst nicht mehr so recht, was denn nun geschehen soll mit der neuen EU-Kommission. Wird man sich einigen, wird man am 26. Januar wie geplant über sie abstimmen können?
"Nein, sicher nicht. Wir werden sicher nicht am 26. abstimmen können", sagt Martin Schulz, der Vorsitzende der Sozialdemokraten im EU-Parlament. Auch sein konservativer Kollege Markus Ferber sagt: "Meine Prognose ist, dass wir bis Ende dieser Woche noch nicht alles in trockenen Tüchern haben."
Gegen 11:30 wird es amtlich: Die in Deutschland nicht gerade bekannte Kommissionsanwärterin Schelewa aus Bulgarin hat zurückgezogen, sie wird nicht EU-Kommissarin für internationale Beziehungen und humanitäre Hilfe. Das heißt erstens, dass Bulgarien eine neue Kandidatin präsentieren muss. Zweitens bedeutet das, dass die gesamte EU-Kommission erst am 9. Februar ernannt werden kann. Und drittens müssen 500 Millionen EU-Bürger weiterhin darauf warten, dass acht Monate nach der Europawahl eine neue Kommission in Brüssel endlich mit ihrer Arbeit beginnt.
Wie du mir, so ich dir
Die konservative Kandidatin Schelewa war nicht durchsetzbar, weil ihr Liberale und Sozialdemokraten vorwarfen, nicht kompetent zu sein und private Geschäftsinteressen verschleiert zu haben. Daraufhin nahmen die Konservativen gestern Abend den Slowaken Maros Sefcovic in die Mangel. Sefcovic ist ein sozialdemokratischer Kandidat für die EU-Kommission. Und ihm legen die Konservativen nun plötzlich zur Last, vor Jahren einen roma-diskriminerenden Satz geäußert zu haben. Schelewa und Sefcovic, Konservative gegen Sozialdemokraten - es klingt wie ein europäisches Trauerspiel.
Ferber hält dagegen: "Ich glaube nicht, dass es ein Trauerspiel ist. Das mag für den einen oder anderen wie parteipolitisches Gezänk ausschauen, aber es geht hier schon um die Frage, ob der Wille der Menschen, der bei der Europawahl zum Ausdruck gekommen ist, auch bei der Bildung der europäischen Regierung, der Europäischen Kommission mit abgebildet ist."
Schmutzige Spiele und Rachefeldzüge?
Der Wille des Wählers hat freilich wenig mit dem parteipolitischen Gezerre zu tun, das derzeit in Brüssel und Straßburg aufgeführt wird. Da würden schmutzige Spiele gespielt, sagen die Konservativen. Die Sozialdemokraten und Liberalen sprechen von Rachefeldzügen. Am Ende sind es dann aber doch nur politische Intrigen und Winkelzüge, die selbst denen zuwider sind, die sich - wie der Fraktionsvorsitzende Schulz - vom Amts wegen daran beteiligen müssen: "Die Feststellung, dass ein EVP-Bewerber oder eine EVP-Bewerberin nicht kompetent ist, führt zu der Äußerung, dass bei den anderen Fraktionen dann aber auch nicht alle kompetent seien." Es müsse sozusagen der "Inkompetenzproporz" gewahrt werden.
Wie geht es jetzt weiter? Nachdem Schelewa weg ist, wird sich demnächst eine neue Kandidatin der parlamentarischen Anhörung stellen müssen. Der Streit wird so lange geführt, bis alle erschöpft sind.
Jeder der 27 EU-Staaten benennt einen Kandidaten für die EU-Kommission. Danach entscheidet der EU-Kommissionspräsident in Abstimmung mit den Mitgliedsstaaten über die Ressortverteilung und schlägt die Kandidaten dem EU-Parlament vor. Die Eignung der Anwärter prüfen die Ausschüsse der jeweiligen Ressorts des EU-Parlaments. Die Abgeordneten können die EU-Kommission als Ganzes ablehnen, wenn sie mit einzelnen Kandidaten nicht einverstanden sind. Der EU-Kommissionspräsident wird auf Vorschlag der Mitgliedsländer direkt vom Parlament gewählt. Eine Begrenzung des Gremiums auf weniger Kommissare scheiterte in den Verhandlungen über den jetzt geltenden Vertrag von Lissabon, sodass bei der Aufnahme weiterer Länder die Zahl der Ressorts von derzeit 26 noch weiter steigen wird. Die Amtszeit der Kommission beträgt fünf Jahre.