EU der 27 sucht Strategie Beratungen ohne Briten
Premiere ohne britischen Premier: Zum ersten Mal hat der EU-Gipfel in der Runde der verbleibenden 27 Staats- und Regierungschefs beraten - über das künftige Verhältnis zu Großbritannien und auch über die Rolle Schottlands. Von Karin Bensch.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bringt es nüchtern auf den Punkt: "Heute Morgen sieht es danach aus, dass die nicht mehr am Tisch des Rates sitzen." Gemeint war der britische Premierminister David Cameron, der Brüssel zu diesem Zeitpunkt bereits verlassen hatte. Heute sitzen die 27 übrigen Staats- und Regierungschef am Tisch. Und es geht vor allem um die Frage, wie es weitergehen soll mit der geschrumpften EU.
Die Gemeinschaft solle nicht in "kleine Clubs" zerfallen, sagte der luxemburgische Premierminister Xavier Bettel. "Wir brauchen jetzt umso mehr ein geeintes Europa, da Großbritannien gespalten ist." Vermieden werden sollen Spaltungen zwischen alten und neueren Mitgliedsstaaten, vor allem in Osteuropa. "Es sind nicht nur die britischen Wähler, die Zweifel an der europäischen Zusammenarbeit haben", warnte der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte. Es gebe in vielen anderen EU-Ländern Skepsis."Deshalb ist es nun unsere Aufgabe, auf solche Empfindungen einzugehen und zu zeigen, dass die europäische Zusammenarbeit in wichtigen Bereichen gute Ergebnisse erzielen kann", so Rutte.
Die neue EU der 27 wird sich aber auch beraten, wie sie in den künftigen Austrittsverhandlungen mit Großbritannien umgehen will. Die können frühestens im September beginnen, wenn es einen neuen britischen Premierminister gibt. Bis dahin werde es keine Vorverhandlungen geben, sagte der Luxemburger Bettel. "Denn sonst würde die britische Regierung erst alles ausverhandeln wollen, bevor sie offiziell den Austritt erklärt."
Die spannende Frage ist, was die EU den Briten zugestehen wird. Die britische Regierung will unbedingt weiterhin freien Zugang zum europäischen Binnenmarkt, weil das wichtig für ihre Wirtschaft ist. Großbritannien verkauft die Hälfte seiner Produkte in die EU und importiert nahezu ebenso viel aus der Europäischen Union. Die Briten wollen allerdings verhindern, dass EU-Bürger künftig unbegrenzt als Arbeitnehmer nach Großbritannien kommen. Gut zwei Millionen EU-Ausländer arbeiten in Großbritannien, mehr als 750.000 davon sind Polen.
"Was sind unsere Interessen?"
Freier Zugang zum Binnenmarkt "ja", Freizügigkeit "nein"? Damit sind die 27 Staats- und Regierungschefs nicht einverstanden. Es gebe eine tiefe wechselseitige Abhängigkeit zwischen den Volkswirtschaften der verbleibenden Mitgliedstaaten und Großbritannien, sagte Bundeskanzlerin Merkel. "Dem müssen wir natürlich auch Rechnung tragen und fragen, was sind unsere Interessen in diesem Zusammenhang. Und deshalb kann man heute noch nicht voraussagen, wie genau diese Beziehungen aussehen."
Und dann ist heute noch ein interessanter Gast in Brüssel. Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon trifft sich mit EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. Für den späten Nachmittag ist noch ein Gespräch mit Kommissionschef Juncker geplant. Sturgeon sagt, sie wolle "Schottlands Beziehung zur EU bewahren". Denn mehr als 60 Prozent der schottischen Wähler hatten beim EU-Referendum für einen Verbleib Großbritanniens in der EU gestimmt.
Tritt Großbritannien aus, würde Schottland ebenfalls herausfallen. Denn das Vereinigte Königreich war 1973 als Gesamtpaket der EU beigetreten. Schottland müsste also erst aus Großbritannien austreten und sich danach als einzelnes Land um einen EU-Beitritt bewerben. Das Brexit-Referendum reißt viele Löcher auf - in Großbritannien und in der EU.