Türkei kritisiert Deutschland "Der Versuch, die EU zu benutzen"
Die EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei abbrechen? Diese Idee verfolgt die Bundesregierung seit dem TV-Duell. Doch innerhalb des Bündnisses ist Berlin isoliert - bis auf eine Ausnahme. Die Türkei lässt das die Deutschen deutlich spüren.
Der Abgesandte aus Ankara konnte sich eigentlich entspannt zurücklehnen - wusste der türkische Europaminister Ömer Celik doch sehr genau, dass ihm bei diesem EU-Außenminister-Treffen nicht allzu viel drohte: Keineswegs jedenfalls der Abbruch oder das Einfrieren der Türkei-Beitritts-Gespräche.
Doch nach dem Treffen ließ es sich Celik vor Journalisten nicht nehmen, noch einmal in Richtung Bundesregierung auszuteilen: Und zwar eben deshalb, weil die in dieser Frage jüngst einen Sinneswandel vollzogen hat und nun durchaus für ein Aussetzen der Gespräche eintritt: "Diejenigen, die jetzt mit solchen Argumenten kommen, versuchen die EU zu benutzen, um bilaterale Probleme zu bearbeiten", sagte er. "Die Europäer sollten sich nicht als Werkzeug missbrauchen lassen für die Probleme zweier Staaten. Sonst schaden sie damit definitiv dem Prestige der EU."
"Die Türkei ist ein großartiges Land"
Bei seiner Begegnung mit der Presse ließ Celik keinen Zweifel daran, auf welcher Seite er die Schuld für die zuletzt arg ramponierten Beziehungen sieht - auf der europäischen nämlich. Jedenfalls warnte der türkische Europaminister seine europäischen Partner nochmal unmissverständlich vor einem Verhandlungsabbruch: "Dies ist keine Kinderspielerei. Sie können nicht darüber reden, die Verhandlungen auszusetzen oder anzuhalten und dann sechs Monate später alles neu zu starten. Die Türkei ist ein strategisch wichtiges Land und eine tief verwurzelte europäische Demokratie."
Aktuell indes hat die Türkei von EU-Seite eben diesen Gesprächsabbruch keineswegs zu befürchten: Denn außer Österreich findet sich bislang kein EU-Land, das der Bundesregierung aus ihrer Isolation in der Türkei-Frage heraushilft: Genau wie zahlreiche seiner Amtskollegen erklärte nun auch der britische Außenminister Boris Johnson, dass er wenig von einem Gesprächsabbruch mit Ankara hält. Zwar räumte Johnson ein, dass ihm die Menschenrechtslage Kopfzerbrechen bereite, sagte dann aber wörtlich: "Meine Haltung war schon immer, dass wir die Türkei nicht verstoßen sollten. Die Türkei ist ein großartiges Land. Ein strategisch wichtiges Land für uns alle", betonte Johnson. Auch der ungarische Außenminister Peter Szijjarto bekräftige, man brauche eine verlässliche Partnerschaft mit der Türkei. Er verwies unter anderem darauf, dass der Flüchtlings-Pakt mit Ankara ja funktioniere.
Der britische Außenminister Johnson hält die Türkei für ein großartiges Land und ist gegen einen...
Nur Österreich unterstützt die Bundesregierung
Seitdem im TV-Duell SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz mit der Forderung überraschte, man solle die Türkei-Beitritts-Gespräche zur EU jetzt abbrechen, drehte sich auch die Haltung der Bundesregierung, die zuvor einen möglichen Verhandlungsstopp stets als strategischen Fehler bezeichnet hatte.
Doch beim Außenminister-Treffen in Tallinn wurde nun offenbar, dass die anderen EU-Staaten keineswegs bereit sind, den deutschen Sinneswandel nachzuvollziehen: Außer Österreichs Außenminister Sebastian Kurz, der schon länger diese Haltung vertritt, spricht sich von Seite der Einzelstaaten bislang niemand offen für einen Verhandlungsstopp mit der Türkei aus. Der Chef der konservativen EVP-Fraktion im EU-Parlament, Manfred Weber, hingegen wirbt im ARD-Interview in Tallinn ausdrücklich für ein Auf-Eis-Legen - das sei der einzige Weg, um auch die Geldzahlungen, auf die alle Beitritts-Kandidaten Anspruch haben, einzufrieren: "Wie dürfen als Europäer nicht so naiv sein und auch noch die Politik von Erdogan mitfinanzieren. Deshalb müssen die Mittel gestoppt werden."
Was den deutschen Chefdiplomaten Sigmar Gabriel angeht, so ließ der zwar erklären, dass er voll auf der Linie seines SPD-Parteifreundes Martin Schulz liege. Er ließ sich jedoch auch auf wiederholte Nachfrage von Journalisten in Tallinn nicht den unzweideutigen Satz entlocken, dass auch er es für richtig hält, auf einen sofortigen Gesprächsabbruch zu dringen. Sollte es die Bundesregierung mit ihrem neuen Türkei-Kurs wirklich ernst meinen, müsste sie ihre EU-Partner jedenfalls noch massiv bearbeiten. Bislang jedenfalls gehen die den nicht mit.