Nach Wahlen in der Türkei EU geht auf Distanz zu Erdogan
Nach der Wiederwahl des türkischen Präsidenten Erdogan wollen die EU-Staaten mit der Türkei vorerst nicht über den Ausbau der Zollunion reden. Die Begründung: Das Land habe sich zuletzt weiter von der EU wegbewegt.
Die EU-Staaten gehen nach der Wiederwahl des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in absehbarer Zeit nicht von Fortschritten bei den Beitrittsverhandlungen mit Ankara aus. Die EU-Europaminister stellten am Dienstag in Luxemburg fest, "dass die Türkei sich von der Europäischen Union weiter entfernt hat".
Vor allem die anhaltenden Rückschritte bei Rechtsstaatlichkeit, Grundrechten und Meinungsfreiheit seien zutiefst besorgniserregend, erklärten die Minister. Das Vorgehen gegen Journalisten, Akademiker, Menschenrechtler, Oppositionspolitiker und Nutzer sozialer Medien könne nicht geduldet werden.
Erdogan hatte am Sonntag die Präsidentschaftswahlen nach inoffiziellen Ergebnissen mit 52,59 Prozent der Stimmen gewonnen. In den Parlamentswahlen, die gleichzeitig stattfanden, wurde die Allianz von Erdogans AKP und der ultranationalistischen MHP stärkste Kraft. Internationale Wahlbeobachter kritisierten, die Kandidaten hätten bei den Wahlen nicht dieselben Chancen gehabt.
Nach inoffiziellen Ergebnissen gewann Erdogan am vergangenen Sonntag die Präsidentschaftswahl im ersten Wahlgang.
Beitrittsverhandlungen liegen weiter auf Eis
Forderungen Österreichs nach einer offiziellen Beendigung der EU-Beitrittsverhandlungen fanden trotz der aktuellen Situation keine Mehrheit. Die Türkei bleibe "Beitrittsland" und "ein Schlüsselpartner in vielen Bereichen", so die Minister. Die Verhandlungen dazu seien aber "praktisch zum Stillstand gekommen". Fortschritte könnten nur nach grundlegenden Änderungen erzielt werden.
Auch weitere Gespräche zur Modernisierung der Zollunion seien nicht geplant. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte bereits im vergangenen Jahr deutlich gemacht, dass sie in der derzeitigen Lage kein Mandat für Verhandlungen über den Ausbau der Zollunion erteilen wolle. Eine offizielle gemeinsame Positionierung der EU-Staaten gab es dazu aber bisher nicht.
Wie die Türkei auf die EU-Erklärung und das offizielle Nein zu Gesprächen über die lange geplante Vertiefung der seit 1995 existierenden Zollunion reagieren wird, war zunächst unklar. Der Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen der EU war bislang immer eines der Kernanliegen der Regierung in Ankara gewesen.
Festhalten am Flüchtlingsabkommen
Die Ministerrunde würdigte gleichzeitig "die erheblichen Anstrengungen der Türkei bei der Aufnahme und Versorgung von mehr als 3,5 Millionen Flüchtlingen" aus Syrien. Für die EU sei die weitere Einhaltung des Flüchtlingsabkommens mit Ankara "wesentlich" und "im Interesse beider Seiten".
Die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei laufen seit 2005. Das Verhältnis hat sich nach dem gescheiterten Militärputsch von Mitte 2016 aber massiv verschlechtert. Wegen der folgenden Massenverhaftungen von Kritikern von Erdogan beschlossen die EU-Staaten im Dezember 2016, die Beitrittsverhandlungen nicht mehr auszuweiten. Im November 2017 wurden auch die Finanzhilfen für Ankara im Zusammenhang mit dem Beitritt gekürzt.