Neue Sanktionen gegen Russland EU gibt Moskau mehr Zeit
Dass es neue EU-Sanktionen gegen Russland geben wird, steht seit Freitag fest. Die EU-Staaten wollen aber mit der Inkraftsetzung warten, um die Lage in der Ostukraine zu beobachten. EU-Ratspräsident Van Rompuy zufolge ist die EU sogar bereit, die Sanktionen zu überdenken.
Die EU verzögert die Anwendung verschärfter Russland-Sanktionen um einige Tage. Zwar hatten die EU-Staaten am Freitag eine grundsätzliche Entscheidung dazu getroffen. Auch genehmigten die EU-Staaten das Paket grundsätzlich, teilte EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy mit. Aber mit der Inkraftsetzung solle noch gewartet werden. "Dies wird uns Zeit geben für eine Beurteilung der Umsetzung der Waffenstillstands-Vereinbarung und des Friedensplans." Mit Blick auf die Situation in der Ostukraine sei die EU bereit, die vereinbarten Sanktionen ganz oder teilweise noch einmal zu überdenken. Diplomaten zufolge sollen die EU-Botschafter am Mittwoch erneut beraten.
Der Entscheidung war eine Beratung der EU-Botschafter über die Umsetzung der Maßnahmen vorangegangen. Themen waren der Zeitplan und die Bedingungen, unter denen die anvisierten Strafmaßnahmen wieder aufgehoben werden können. Das Kriterium dafür ist, ob die Waffen in der Ostukraine weiter schweigen. Da der Waffenstillstand derzeit mehr oder weniger stabil ist, wurde auch in Frage gestellt, ob die Sanktionen überhaupt in Kraft treten sollen.
Merkel entschlossen, Finnland zögert
Bundeskanzlerin Angela Merkel bekräftigte bei einer Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ihre Position, dass die Sanktionen trotz der Vereinbarung über den Waffenstillstand nötig ist. Russland habe den Westen schon mehrfach getäuscht, sagte sie zur Begründung. Noch immer befänden sich russische Kämpfer und russisches Militärgerät in der Ostukraine.
Merkel verwies auch auf aktuelle Berichte, nach denen Russland schon seit längerem eine Destabilisierung der Ukraine geplant habe und die russische Führung damit einer lang angelegten Strategie folge. Deshalb müsse die EU nun entschlossen handeln.
Finnlands Regierungschef Alexander Stubb äußerte dagegen Bedenken über die Folgen: "Ich bin sehr besorgt über die indirekten Auswirkungen und russische Gegensanktionen", sagte er, ohne ins Detail zu gehen. "Es ist unmöglich zu sagen, was kommt."
Russland hatte zuvor mit Gegenmaßnahmen im Fall verschärfter Sanktionen gedroht. Denkbar sei ein Überflugverbot für westliche Fluggesellschaften, sagte Regierungschef Dmitri Medwedjew der russischen Zeitung "Wedomosti". Dem finnischen Sender YLE zufolge würde ein russisches Überflugverbot die Fluggesellschaft Finnair hart treffen, die viele asiatische Ziele ansteuert.
Mehrere Wirtschaftsbereiche betroffen
Die EU-Pläne sehen weitere Einschränkungen für den russischen Zugang zum internationalen Kapitalmarkt vor. Dabei sollen nun nicht mehr nur Banken, sondern auch russische Unternehmen von den Sanktionen getroffen werden. Des weiteren soll der Export sogenannter Dual-Use-Güter nach Russland eingeschränkt werden. Dabei geht es um Güter, die für zivile und militärische Zwecke genutzt werden können.
Laut EU-Diplomaten sollen auch die drei großen Energiekonzerne Gazprom, Rosneft und Transneft mit den Sanktionen getroffen werden. Für die drei mehrheitlich dem russischen Staat gehörenden Firmen solle der Zugang zum europäischen Finanzmarkt eingeschränkt werden. Auch sollen neue Einreiseverbote und Kontensperrungen ausgesprochen werden.
Die Sanktionen würden in Kraft treten, sobald sie im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht werden. Wegen des Ukraine-Konflikts hatten die EU und die USA schon eine Reihe von Sanktionen erlassen, die der Kreml unter anderem mit Importverboten gegen westliche Produkte konterte.
Moskau kündigt asymetrische Antwort an
Medwedjew erläuterte, wie Moskau auf die Verschärfung der EU-Sanktionen reagieren will. Im Fall neuer Sanktionen gegen den Energiesektor oder weiterer Restriktionen gegen den russischen Finanzsektor müsse Russland "asymetrisch" antworten. Als mögliche Maßnahme nannte er explizit die Überflugrechte.
Russland gewähre die Überflugrechte aufgrund der freundschaftlichen Beziehungen zu seinen Partnerländern, sagte der Regierungschef und ehemalige Präsident Medwedjew. "Aber wenn sie uns einschränken, werden wir reagieren müssen." Medwedjew warnte vor den Folgen dieses Schrittes: "Wenn westliche Gesellschaften unseren Luftraum meiden müssen, kann das zum Bankrott vieler Fluggesellschaften führen, die schon jetzt ums Überleben kämpfen." Er forderte, es nicht zu einer Sanktionsspirale zwischen Russland und dem Westen kommen zu lassen.
Eine russische Luftraumsperre würde allerdings beide Seiten viel Geld kosten, erwarten Experten. So hat die russische Luftfahrtbehörde zwar die Kosten, die europäische Gesellschaften wie die Lufthansa dank kurzer Routen über Russland einsparen, auf mehr als 20.000 Euro pro Flug beziffert. Doch auch die Russen haben einiges zu verlieren. Zunächst gehen die Überfluggebühren verloren und zudem könnte Europa seinerseits mit einem Überflugverbot für russische Maschinen kontern.