Merkel beim EU-Gipfel Im Amt - und weiter auf der Bremse?
Sie will ja den Aufbruch für die EU - das hat Kanzlerin Merkel mehrfach betont. Nur wie der zu schaffen ist, da bleibt sie noch vage. Was vor allem Frankreichs Geduld strapazieren dürfte.
Auch rund eine Woche nach dem Amtseid hallt das Aufatmen der deutschen Nachbarn über Angela Merkels vierte Kanzlerschaft noch immer nach. Nicht nur in Brüssel ist man froh, dass die Zeit des Stillstands vorüber ist und Deutschland endlich wieder eine Regierung hat. Noch dazu eine, die im Koalitionsvertrag mehr Geld für Europa verspricht und einen "neuen Aufbruch", wie Merkel es selbst formuliert hat.
Dass das stärkste der 28 EU-Mitgliedsländer gerade noch pünktlich zum Gipfel wieder sprechfähig ist, freut vor allem Merkels engsten und energischsten Partner in der EU: Emmanuel Macron. Denn zu besprechen gibt es eine Menge, wie Frankreichs Präsident nicht müde wird zu betonen. Sein Wahlsieg, im Frühjahr 2017, liegt noch länger zurück - und hatte ebenfalls Hoffnungen auf neue, pro-europäische Impulse geweckt.
Langsam, schwach und ineffizient
Macron hatte schon im Herbst, kurz nach der Bundestagswahl, in seiner großen Sorbonne-Rede einen Masterplan zur "Neugründung Europas" vorgelegt. Dazu gehören für ihn: Ein europäischer Wirtschafts- und Finanzminister, ein eigenes Budget für die Eurozone und eine Angleichung der Steuersysteme, die den unwürdigen Konkurrenzkampf zwischen den Mitgliedsstaaten ein für alle Mal beendet und dafür sorgt, dass auch multinationale Konzerne, wie Google oder Amazon, ihren gerechten Anteil zum Allgemeinwohl leisten. Alles mit dem Ziel, die EU zu stärken und die Dauerkrise zu überwinden.
Derzeit ist Europa zu schwach, zu langsam und zu ineffizient, so Macrons Diagnose. Aber nur Europa als Ganzes, nicht einzelne Nationen, könne seinen Bürgern Handlungsfreiheit garantieren in einer immer komplexeren Welt.
Zumindest im Grundsatz einig
Der EU Unabhängigkeit zu verschaffen, damit sie ihre Ideen und Interessen besser verteidigen kann - eine Forderung, die man diesseits des Rheins durchaus teilt. Eine echte Antwort auf seine Vorschläge ist Merkel Macron bislang jedoch schuldig geblieben, im Gegensatz zu EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker.
Wer gehofft hatte, die Kanzlerin würde dies beim Treffen der EU-Regierungschefs nachholen, dürfte allerdings enttäuscht werden: Zwar sind sich Paris und Berlin grundsätzlich einig, dass sich die EU nach Finanz- und Flüchtlingskrise sowie vor dem Brexit und der nächsten Europawahl neu aufstellen muss, doch eine gemeinsame Linie ist nicht erkennbar.
Fahrplan kommt mit Verspätung
Während Macron drängelt, bleibt Merkel im Vagen. Anders als ursprünglich geplant, will sie sich nun doch erst beim nächsten Gipfel - im Juni - auf einen Fahrplan für die Reform der Währungsunion festlegen. Selbst der Gastgeber des Gipfels, Ratspräsident Donald Tusk, der das Thema schon mehrmals auf die Agenda gesetzt hat, musste im Einladungsbrief eingestehen, dass es derzeit nur einen "begrenzten Konsens" bei zentralen Reformvorhaben gebe.
Angst vor der "Schuldenunion"
Auf die Frage nach den Gründen für den verkorksten Neustart verweisen Insider auf den bereits heraufdämmernden Machtkampf um die Besetzung wichtiger EU-Posten im kommenden Jahr. Und auf die alte Sorge der Deutschen, bereits erreichte Stabilitätskriterien könnten aufgeweicht und die Schleusen Richtung "Transfer-" oder gar "Schuldenunion" geöffnet werden.
Statt der angeblich so nötigen Entscheidungen werden die Regierungschefs also eine weitere, eher unverbindliche Grundsatzdebatte führen. Und sie werden über weniger kontroverse Projekte reden, wie die Vollendung der Bankenunion oder den Umbau des Rettungsschirms ESM in einen Europäischen Währungsfonds.
Den Vorwurf, als Bremserin dazustehen, kann die Kanzlerin freilich elegant parieren: Inzwischen hat sich nämlich eine Allianz aus acht kleineren EU-Staaten unter Führung der Niederlande gebildet, die vor einem deutsch-französischen Alleingang warnen und Macrons ehrgeizigen Euro-Visionen äußerst kritisch gegenüberstehen.