EU-Gipfel Zähes Ringen um Spitzenposten
Trotz einer nächtlichen Unterbrechung mit bilateralen Gesprächen gibt es beim EU-Gipfel weiterhin keine Einigung über die Besetzung der Spitzenposten. Seit dem Morgen gehen die zähen Verhandlungen weiter.
Auch bis zum frühen Morgen haben die Staats- und Regierungschefs Europas keine Lösung für die neu zu besetzenden Spitzenämter gefunden. Besonders schwierig gestalten sich die Gespräche für das Amt des Kommissionspräsidenten. Für keinen der Topkandidaten für die Nachfolge von Jean-Claude Juncker fand sich bislang eine Mehrheit. Im Gespräch sind der konservative Spitzenkandidat Manfred Weber und der niederländische Sozialdemokrat Frans Timmermans.
Um 23 Uhr wurde der Gipfel unterbrochen. In der Nacht traf EU-Ratschef Donald Tusk alle 28 Teilnehmer, um in bilateralen Gesprächen ein Personalpaket zu schnüren.
Weitere Gespräche in großer Runde
Gegen 6 Uhr beendete Tusk das Gespräch mit vier Regierungschefs, die neben den Visegrad-Staaten ebenfalls Vorbehalte gegen Timmermans als EU-Kommissionspräsident haben. Dabei handelt es sich nach Angaben von EU-Diplomaten um Rumänien, Lettland, Irland und Kroatien. Die Regierungschefs der beiden letztgenannte Staaten beklagen Überlegungen, wonach die Europäische Volkspartei, obwohl sie stärkste Fraktion im europäischen Parlament geworden ist, nicht den Kommissionspräsidenten stellen soll.
Am frühen Morgen wurden nun die Verhandlungen in Brüssel wieder in großer Runde aufgenommen.
Tusk bringt neue Namen ins Spiel
Sollte Timmermans Kommissionspräsident werden, könnte Weber als Präsident des EU-Parlaments oder Vizechef der Kommission werden. Gegen Weber als Kommissionschef hatte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zuvor massive Vorbehalte geäußert.
Die osteuropäischen Staaten lehnen wiederum Timmermans ab - und auch aus der EVP gibt es Widerstand gegen ihn. Das sorgte laut Medienberichten bei den nächtlichen bilateralen Gesprächen Tusks mit den EU-Mitgliedsstaaten dafür, dass der EU-Ratschef für den Posten des Kommissionspräsidenten neue Namen ins Spiel gebracht haben soll.
Dabei nannte Tusk wohl drei Politiker der konservativen EVP-Parteienfamilie: die bulgarische Weltbank-Geschäftsführerin Kristalina Georgieva, den irischen Ministerpräsidenten Leo Varadkar und den französischen EU-Brexit-Chefunterhändler Michel Barnier. Die Reaktionen seien aber eher zurückhaltend ausgefallen, hieß es von EU-Diplomaten.
Unter Zeitdruck
Es ist ein Postenpoker unter Zeitdruck. Am Mittwoch kommt das neu gewählte Europäische Parlament erstmals zusammen - und wählt seinen Präsidenten. Und schafft damit Fakten. Sollten es also die Staats- und Regierungschefs bis dahin nicht schaffen, sich auf ein Personaltableau zu einigen, dürfte es noch schwerer werden, weil dann eine wichtige Position besetzt ist und damit aus der Verhandlungsmasse herausfällt.
Warum die Wahl so schwierig ist
Seit der Europawahl Ende Mai ringen die EU-Staaten und das Europaparlament um die Besetzung des Spitzenamts in der Kommission und andere Topjobs.
Vor 2014 wurden die Kandidaten für die EU-Präsidentschaft unter Ausschluss der Öffentlichkeit vom Europäischen Rat bestimmt. Diese wurden dann dem Parlament vorgeschlagen. Die Wähler konnten vor der Europawahl nicht absehen, wer die Kommissionspräsidentschaft übernehmen würde. Laut Vertrag von Lissabon, der seit 2009 in Kraft ist, muss der Europäische Rat eine Person, die er für die Kommissionspräsidentschaft vorschlägt, unter "Berücksichtigung der Wahlergebnisse" bestimmen.
Auf Drängen des Europäischen Parlaments stellten die europäischen Fraktionen im Jahr 2014 erstmals Spitzenkandidaten auf. Die Topkandidaten stellen sich seitdem im Wahlkampf vor. Das Verfahren wurde demokratischer. Doch das "Spitzenkandidatenprinzip" ist nicht bindend und es herrscht Uneinigkeit über das Verfahren.
Die EVP von Weber kommt im EU-Parlament nur auf 24 Prozent der Stimmen. Und auch im Rat der 28 Staats-und Regierungschefs hat Weber viele gegen sich. Deshalb gibt es keinen Automatismus, dass die konservative EVP auch automatisch den Kommissionspräsidenten stellt.
2014: Absprache zwischen Juncker und Schulz
Bei der vergangenen Europawahl im Jahr 2014 hatten sich Juncker von der EVP und Martin Schulz von den Sozialdemokraten bereits vor der Wahl darauf geeinigt, dass der Stärkere von ihnen Kommissionspräsident wird. An diese Absprache haben sich die beiden nach der Wahl gehalten. Die Staats-und Regierungschefs sind ihnen - wenn auch zögerlich - gefolgt.
So konnte Juncker innerhalb relativ kurzer Zeit neuer Kommissionspräsident werden. Diesmal wird es deutlich länger dauern, bis der neue Kommissionspräsident im Amt ist. Oder vielleicht die erste Kommissionspräsidentin in der Geschichte der EU.
21 Staaten müssen zustimmen
Für den Posten des Kommissionspräsidenten müssen die Staats- und Regierungschefs eine Einigung finden, die von mindestens 21 Staaten mitgetragen wird, die 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren.
Zu besetzen sind insgesamt fünf Spitzenposten: die Präsidenten der Kommission, des Rats, des Europaparlaments und der Europäischen Zentralbank (EZB) sowie der EU-Außenbeauftragte.
Wann genau eine Einigung auf die EU-Spitzenämter zustande kommt, ist laut beteiligen Staatschefs wie Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte noch offen. Nach der Unterbrechung in der Nacht war laut Diplomaten auch eine Vertagung der Verhandlungen auf den 15. Juli im Gespräch.
Mit Informationen von Ralph Sina, ARD-Studio Brüssel